Zweites Vatikanum
Segen oder Fluch?

Zurück zum Vorspann

Ein fiktiver Dialog zweier Vertreter des Revolutionsprinzips am Vorabend des Konzils

„Wenn die Kirche nicht göttlich wäre,

so hätte dieses Konzil sie begraben.“*

Revoluturus: Du kennst, mein Freund, das schöne Gedicht von Chr. Morgenstern, das mit den Worten beginnt: „Wer vom Ziel nicht weiß, kann den Weg nicht haben“. Deshalb wollen wir zuerst über unsere Ziele auf dem bevorstehenden Konzil sprechen und dann über die Wege, wie wir zu ihnen gelangen können. Wir träumen doch schon lange von einer anderen Kirche, einer volksnahen Kirche, einer Kirche, die dem modernen, liberalen Staat die Hand reicht und die auf die anderen Religionen zugeht.

Moderaturus: Ja, wir wollen die Kirche aus ihrem Ghetto befreien, in dem sie sich der Welt und den anderen Religionen gegenüber befindet, und wir wollen den Menschen unserer Zeit nahe kommen. Wir wollen ihnen helfen, ihren Alltag zu bewältigen und wir wollen, gemeinsam mit ihnen, mit beiden Beinen im Leben stehen. Unsere Priester stört es schon lange „Hochwürden“ genannt zu werden, sie wollen nicht mehr der auserwählte Gottesmann sein, bei dessen Anblick jedermann an seine ewige Bestimmung erinnert wird, sondern sie wollen ganz normale Bürger sein. Sie beabsichtigen, ihrer Solidarität mit den Menschen auch durch ein verändertes Äußeres Ausdruck zu geben, indem sie die Priesterkleidung ablegen. Aus der heiligen, hoheitsvollen Kirche wollen wir eine alltagsbezogene Kirche machen, die ihre Vertrautheit mit der Welt durch Politik- und Wirtschaftskompetenz unter Beweis stellt. Im Mittelpunkt aller unserer Bestrebungen soll der Mensch stehen. War die Kirche bisher theozentrisch geprägt, so soll sie nun von uns anthropozentrisch geprägt werden; vom Humanismus und der Aufklärung gibt es da einiges zu lernen.

Revoluturus: Zutreffend hast du die Mentalität eines Großteils unseres Klerus beschrieben. Insbesondere junge Kleriker rufen: „Hin zur Welt! Wir müssen zeitgemäß sein!“ Alles Hohe, Erhabene, dem Alltag Entrückte schreckt sie ab, weil es sie vom Volke absondert. Als sie noch Seminaristen waren, haben wir ihnen versprochen, daß bald alles anders wird, daß sie den Menschen ganz nahe kommen werden und selbst in der Liturgie die Maxime gelten wird „gemeinsam handeln“. Nun fordern sie, wie du richtig sagst, eine alltagsbezogene und, sagen wir es ruhig, eine entsakralisierte Liturgie. Deshalb sprechen sie auch lieber von Eucharistiefeier als von heiliger Messe, um das Gemeinschaftliche dieses Geschehens zu betonen. Gemeinschaftliches, demokratisches Handeln soll künftig Trumpf auf allen Ebenen in der Kirche sein, und das Konzil soll die Rahmenbedingungen für diesen Umschwung schaffen, insbesondere die Rahmenbedingungen für eine neue Meßordnung. Wir stehen bei ihnen im Wort und nun ist mit dem Konzil die Stunde gekommen, unser Versprechen einzulösen.

Moderaturus: Aber wie sollen wir vorgehen? In der Zielbestimmung stimmen wir überein, deshalb laß uns nun konkret werden. Ich möchte wissen, wie du dir die Durchführung unseres Vorhabens vorstellst.

Revoluturus: Gerne will ich dir meine Vorstellungen entwickeln, doch will ich dir erst einmal danken, für den großartigen Rotwein, den du mir kredenzt. (Er liest auf dem Etikett) „Assmannnshäuser Höllenberg, Spätburgunder, Spätlese“. (Revoluturus ist entzückt): Er stammt aus dem herrlichen Rheingau und dann auch noch der große Jahrgang 1953. (Sie trinken auf ihr gegenseitiges Wohl) Welch ein edler Wein, glutvoll und samtig-weich zugleich, mit duftig-fruchtigem Bukett, harmonisch, ohne jede Untugend! Doch zurück zu unserem Problem. Wir wollen eine andere Kirche, eine Kirche in der nicht nur die Beziehungen zur Welt und zu den anderen Religionen verbessert, sondern in der diese Beziehungen auf eine völlig neue Grundlage gestellt werden.

Moderaturus: Aber diese Verhältnisse bestimmen sich doch nach dem Selbstverständnis der katholischen Kirche. Du kannst sie gar nicht grundsätzlich verändern, weil das Selbstverständnis unserer Kirche diesem Vorhaben einen Riegel vorschiebt.

Revoluturus: Du hast den springenden Punkt erkannt. Eine grundsätzliche Änderung jener Beziehungen setzt eine Veränderung des Selbstverständnisses unserer Kirche voraus.

Moderaturus: Inwiefern willst du denn das Selbstverständnis der Kirche verändern?

Revoluturus: Gerne will ich es dir darlegen und auch die Konsequenzen aufzeigen, die sich aus diesem veränderten Selbstverständnis der Kirche ergeben, aber du mußt mir versprechen, daß du zu niemandem über das sprechen wirst, was ich dir heute abend enthülle.

Moderaturus: Darauf hast du mein Ehrenwort.

Revoluturus: Nun denn, die von uns angestrebte Veränderung des Selbstverständnisses der Kirche ist vielfältiger Art und kann nur in einer Reihe von Schritten durchgeführt werden, die gut aufeinander abgestimmt sind. Laß mich dir im Bilde erklären, worauf alle diese Veränderungen abzielen: Nach dem Selbstverständnis der katholischen Kirche steht diese ganz da oben (er deutet auf die Zimmerdecke) und die Welt sowie die anderen Religionen sind ganz unten (er deutet auf den Boden). Wenn wir uns denen annähern wollen, die unten sind, dann muß unsere Annäherungsstrategie in zwei Richtungen gehen:

Erstens müssen wir unserer Kirche die konkurrenzlose Hoheit nehmen, sie also von ihrem hohen Podest herunterholen, und zweitens müssen wir die Welt und die anderen Religionen hochheben. Kurz: Wir müssen die katholische Kirche abwerten und die anderen Religionen und die Welt aufwerten; das ist die Doppelstrategie, die wir verfolgen! Dabei werden wir automatisch auch das andere Ziel erreichen, nämlich den Menschen näher zu kommen.

Moderaturus: Du solltest nicht vergessen, daß es Christus selbst war, der Seine Kirche auf das „hohe Podest“ gehoben hat, indem Er sie stiftete und ihr die Heilsgüter anvertraute. Aber lassen wir das einmal zur Seite. Ich möchte wissen, wie die Schritte aussehen, mit denen du deine Doppelstrategie zu verwirklichen gedenkst.

Revoluturus: Bevor ich sie dir erkläre, sollten wir die erste Aufgabe bedenken, die wir auf dem Konzil zu lösen haben. Es gilt nämlich zunächst einmal ein großes Hindernis zu beseitigen, das der Verwirklichung unseres Vorhabens im Wege steht: Wir müssen erreichen, daß die Vorlagen der Vorbereitenden Kommission abgelehnt werden, denn diese tragen die Handschrift der Konservativen.

Wenn das gelungen ist - und dafür stehen die Chancen gut, denn die meisten Väter wollen einen Wandel - dann ist unsere Stunde gekommen. Denn dann steht die Bischofsversammlung ohne Diskussionsgrundlage da, und wir können mehrheitsfähige Vorlagen erarbeiten, die unsere Handschrift tragen. Dabei baue ich auf die hochkarätigen Berater der Väter, die auf unserer Seite stehen, wie Rahner, Lubac, Congar und Schillebeeckx, die schon lange auf einen Wandel in der Kirche hoffen, und die zur Zeit Pius XII. z.T. mit der römischen Zensur schmerzhafte Bekanntschaft gemacht haben. Seit Johannes XXIII. am Ruder ist, wittern sie Morgenluft; einige von ihnen können sich schon seiner Gunsterweise erfreuen und hoffen, daß nun noch viel deutlicher die Stunde ihrer Rehabilitierung schlägt.

Moderaturus: Deine Rechnung mit der Ablehnung der Vorlagen könnte aufgehen, aber nun sage mir endlich, wie du das Selbstverständnis der Kirche ändern willst.

Revoluturus: In mehreren Schritten werden wir Christus von der katholischen Kirche distanzieren.

Moderaturus: Wie kannst du hoffen so etwas zu erreichen? Die innige Verbindung zwischen Christus und Seiner Kirche findet ihren Ausdruck in der Hl. Schrift und sie wurde vom Lehramt durch alle Jahrhunderte bekräftigt, zuletzt noch in der großen Kirchenenzyklika von Pius XII.

Revoluturus: Wirf die Flinte nicht so schnell ins Korn. Wohl weiß auch ich um diese Verbindung, die sich darin ausdrückt, daß die Christozentrik der Kirche ekklesiozentrisch geprägt ist.

Moderaturus: Wie könnte sie es auch anders sein?

Revoluturus: Wir streben eine Christozentrik an, die eben nicht ekklesiozentrisch geprägt ist, mehr noch, die im Gegensatz zur Ekklesiozentrik steht, weshalb unser Motto lautet: Christozentrik contra Ekklesiozentrik.

Moderaturus: Für diese Christozentrik bekommst du nie und nimmer die erforderliche Stimmenmehrheit.

Revoluturus: Natürlich nicht, wenn wir diesen Gegensatz herausstellen. Wir werden uns aber viel diskreter ausdrücken und sagen, daß Christus das Licht der Völker ist, das auf dem Antlitz der Kirche widerstrahlt.

Moderaturus: Ich verstehe, du willst nicht mehr mit Pius XII. behaupten, daß das Licht, das von Christus kommt, in Seinen mystischen Leib, die Kirche, hineinstrahlt und von ihr aus zu den Menschen, sondern du willst zum Ausdruck bringen, daß das Licht Christi der Kirche sozusagen äußerlich bleibt, indem es sich nur auf ihrem Antlitz widerspiegelt. Zugegeben, das hast du fein ausgedacht, so daß dieser Distanzierungsschritt gelingen kann. Aber bei ihm soll es doch wohl nicht bleiben?

Revoluturus: Natürlich nicht, bei den nun folgenden Distanzierungsschritten konzentrieren wir uns auf Eigenschaften der Kirche, insbesondere ihre Heiligkeit. Diese relativieren wir, indem wir die Kirche als solche mit der Sünde in Verbindung bringen und sie so von dem heiligen Gott trennen.

Moderaturus: Gib acht, daß du dich dabei nicht selbst versündigst! Willst du es wirklich wagen, Hand an eine Wesenseigenschaft der Kirche zu legen? Sagt nicht der hl. Paulus im Epheserbrief: „Christus hat die Kirche geliebt und hat sich für sie hingegeben, um sie zu heiligen, indem er sie reinigte durch das Bad des Wassers im Wort, um sich die Kirche herrlich zu gestalten, ohne Flecken und Runzel oder dergleichen, sondern damit sie heilig und makellos sei."

Und bekräftigt nicht, um nur eine Stimme des kirchlichen Lehramtes zu nennen, Pius XI. in seiner Enzyklika Mortalium animos die Sündenfreiheit der Kirche mit den Worten: „Die mystische Braut Christi ist ja im Laufe der Jahrhunderte niemals befleckt worden, und sie kann nie befleckt werden nach den schönen Worten Cyprians: 'Zum Ehebruch läßt sich die Braut Christi nicht führen, sie ist unbefleckt und züchtig. Nur ein Haus kennt sie, die Heiligkeit eines Schlafgemaches bewahrt sie in keuscher Scham '." Wie kannst du da hoffen, eine Stimmenmehrheit für einen Text zu gewinnen, der die Kirche als solche mit der Sünde in Verbindung bringt?

Revoluturus: Gewiß, dieser Punkt ist sehr heikel und verlangt ein kluges Vorgehen unsererseits. Die Problematik hängt eng mit der Definition der Kirche zusammen. Ich werde dir nachher auseinandersetzen, daß wir die Volk-Gottes-Beschreibung der Kirche als ihre zentrale Beschreibung einführen und die beiden anderen hauptsächlichen Beschreibungen derselben, nämlich die Kirche als der mystische Leib Christi bzw. die Kirche als die Braut Christi zurückdrängen. Nimm dies bitte für den Augenblick einmal als gelungen hin und auch den weitergehenden Schritt, daß wir die Kirche mit dem Volk Gottes identifizieren werden. Diese Identifikation erlaubt es uns dann, den Unterschied zwischen der Kirche und ihren Gliedern einzuebnen und dann schlägt die Sündhaftigkeit der Volksangehörigen auf die Kirche selbst durch. Deshalb können wir sagen, daß sie der Reinigung bedürftig ist und stets den Weg der Buße gehen müsse.

Moderaturus: Dagegen wende ich zweierlei ein: Erstens ist die Methode der Ebenenvermischung, nämlich die Vermischung der Ebene der Kirche als solcher mit der Ebene ihrer Glieder, unlauter, und zweitens wirst du auch nicht durch diesen Trick einen mehrheitsfähigen Text vorlegen können.

Revoluturus: Wenn du das schon als unlauter bezeichnest, dann mußt du dich noch auf Schlimmeres gefaßt machen, denn ich bekenne dir offen: Wir werden unsere Ziele nicht erreichen, wenn wir nur moralisch einwandfreie Methoden anwenden. Schiller hat schon Recht, wenn er seinen Octavio sagen läßt:

„Es ist nicht immer möglich,
Im Leben sich so kinderrein zu halten,
Wie’s uns die Stimme lehrt im Innersten.“*

Wenn wir in dieser Hinsicht unsere Unschuld bewahren wollen, dann können wir die Revolution gleich an den Nagel hängen. Ein skrupulöser Revolutionär ist ein Widerspruch in sich. Der Revolutionär muß bereit sein, nach dem Motto zu handeln: Der Zweck heiligt die Mittel!

Doch nun zu deinem zweiten Einwand, daß wir die notwendige Stimmenmehrheit verfehlen werden. Du hättest recht, wenn wir nicht noch ein zweites Mittel gebrauchen würden, das du zweifellos ebenfalls unter die anrüchigen Methoden einordnen wirst. An gewissen Punkten dürfen wir nicht davor zurückschrecken, Widersprüche im Konzilstext zuzulassen und das ist ein solcher Punkt. Bei der heiklen Frage nach der Beziehung zwischen Kirche und Sünde, müssen wir nämlich unseren Gegnern dadurch entgegenkommen, daß wir an der einen Stelle die traditionelle Position zum Zuge kommen lassen, um an anderer Stelle unsere Position durchbringen zu können.

Deshalb wird es an der einen Stelle, zur Beschwichtigung der Konservativen, heißen: „Nach seinem Willen soll sie [die Kirche] als die von ihm Gereinigte ihm gehören und in Liebe und Treue ihm untertan sein", aber an anderer Stelle wirst du in unserem Sinne lesen: „Sie [die Kirche] ist zugleich heilig und stets der Reinigung bedürftig, sie geht immerfort den Weg der Buße und Erneuerung."

Insofern die Kirche reinigungsbedürftig ist, ist sie natürlich unheilig und durch diese Unheiligkeit von Christus getrennt. Es handelt sich hier also um einen bedeutenden Distanzierungsschritt, der durch den Nachsatz „sie geht immerfort den Weg der Buße und Erneuerung“ noch bekräftigt wird.

Moderaturus: Du vertraust offenbar darauf, daß deine Methode, zu gewissen glaubenskonformen Aussagen an anderen Stellen diesen widersprechende Aussagen in die Konzilstexte einzuschleusen, unseren Gegnern verborgen bleibt. Was berechtigt dich zu dieser Hoffnung?

Revoluturus: Mein Freund, es kommt hier sehr auf die Verpackung an! Solche Äußerungen, mit denen wir der überlieferten Lehre widersprechen, müssen wir sorgfältig „abfedern“, und zwar mit emphatischen Treuebekundungen zu derselben. Eine solche Aussage werden wir in ein Textumfeld einbetten, das den Beifall der Konservativen findet, weil es reichlich ausgestattet ist mit Zitaten aus der Hl. Schrift, Äußerungen der Kirchenväter und des vorkonziliaren Lehramtes. Dann aber plötzlich, wie ein Blitz aus heiterem Himmel, plazieren wir den „Querschläger“, und geben uns anschließend sofort wieder glaubenskonform. Eine solche Tarnung ist unverzichtbar, wenn wir einen widersprüchlichen und trotzdem mehrheitsfähigen Text vorlegen wollen.

Moderaturus: Ich brauche dir nicht zu sagen, daß auch dieses Vorgehen zu den unlauteren Methoden zählt, stellt es doch zweifellos einen Täuschungsversuch dar, der übrigens, bei hinreichend langatmigen Texten, erfolgversprechend ist. Aber wie werden wir in nachkonziliarer Zeit mit diesen Widersprüchen umgehen? Werden uns nicht die Konservativen auf die korrekten Passagen festnageln?

Revoluturus (gelassen): Wenn wir uns der Methode der widersprüchlichen Aussagen bedienen, dann natürlich in der Absicht, die uns genehmen in nachkonziliarer Zeit aufzugreifen und die gegenteiligen unter den Tisch fallen zu lassen. Die Tat verlangt bekanntlich eine eindeutige Direktive. Das, was wir mit den Texten auf den Weg bringen, wird sich in nachkonziliarer Zeit immer mehr gegen die retardierenden Kräfte, die sich auf die traditionskonformen Passagen beziehen, durchsetzen. Wir können, darüber müssen wir uns im klaren sein, die innerkirchliche Revolution auf dem Konzil nicht vollenden. Unsere Aufgabe ist es, sie in Gang zu setzen, eine Lawine loszutreten, die sich aus ihrer inneren Dynamik heraus in nachkonziliarer Zeit immer mehr vergrößert und schließlich alles niederwalzt, was sich ihr in den Weg stellt. Die Konzessionen, die wir machen müssen, werden die Revolution nicht verhindern, sie werden den Prozeß nur verlangsamen.

Moderaturus: Kommen wir von den Methoden wieder zurück zu den Inhalten. Du willst mir darlegen, mit welchen Schritten du die Kirche herabsetzen und die anderen Religionen aufwerten willst. Was ist dein nächster Schritt?

Revoluturus: Der nächste Schritt steht im Zeichen der Aufwertung der anderen christlichen, insbesondere der protestantischen Denominationen; er besteht in der Zuerkennung der Kirchlichkeit für diese. Dabei kommt uns zustatten, daß das Kirchenrecht von 1917 die in der apostolischen Sukzession stehenden orthodoxen Gemeinschaften als ecclesiae orientales bezeichnet und damit von „Kirchen“ im Plural spricht.

Moderaturus: Du nennst ja selbst den entscheidenden Unterschied, denn diese Gemeinschaften, die in der apostolischen Sukzession stehen, haben bei ihrem Auszug aus dem Vaterhaus, der römisch-katholischen Kirche, gültige Sakramente bewahrt. Davon kann bei den protestantischen Gemeinschaften keine Rede sein.

Revoluturus: Natürlich werden wir nicht plump die protestantischen Gemeinschaften „Kirchen“ nennen, vielmehr diesem Terminus einen zweiten zur Seite stellen und in einem Atemzug von Kirchen und kirchlichen Gemeinschaften sprechen. Dabei bleibt offen, auf welche Gruppierung die erste bzw. die zweite Bezeichnung zutrifft. Das hat zwei Vorteile, erstens gibt es nämlich protestantische Gruppierungen, welche die Bezeichnung „Kirche“ für sich ablehnen und zweitens werden die Konservativen die schwammige Bezeichnung „kirchliche Gemeinschaften“ auf die protestantischen Denominationen anwenden.

Dabei genügt es uns völlig, wenn es gelingt, protestantische Gemeinschaften an einer einzigen Stelle als Kirchen anzuerkennen. Das muß selbstverständlich mit der gebührenden Vorsicht geschehen, und deshalb sagen wir unter der Überschrift Die getrennten Kirchen und Kirchlichen Gemeinschaften im Abendland: „Die Kirchen und Kirchlichen Gemeinschaften, die in der schweren Krise, die im Abendland schon vom Ende des Mittelalters ihren Ausgang genommen hat, oder auch in späterer Zeit vom Römischen Apostolischen Stuhl getrennt wurden, sind mit der katholischen Kirche durch das Band besonderer Verwandtschaft verbunden, ..."

Moderaturus: Nebenbei bemerkt, dient die Zuerkennung der Eigenschaft „Kirchen“ zu sein nicht nur der Aufwertung der betreffenden protestantischen Denominationen, sondern auch der Abwertung der katholischen Kirche, denn dadurch wird ihre Eigenschaft, die einzige Kirche zu sein, relativiert. Insofern rückst du durch diesen Gebrauch des Plurals Kirchen zugleich die Wesenseigenschaft der Einheit der Kirche ins Zwielicht, denn diese bedeutet auch Einzigkeit, und darüber hinaus tangierst du auch noch ihre Katholizität, d.h. ihre Allgemeinheit. Aber wie ich dich kenne, hast du mit dem Plural Kirchen noch mehr vor.

Revoluturus: (lacht) Du traust mir inzwischen wohl alles zu. Nun, der nächste große Abwertungsschritt besteht darin, daß wir die Identität der katholischen Kirche mit der Kirche Jesu Christi aushebeln.

Moderaturus: (schüttelt den Kopf) Jetzt ist dir wohl der Sinn für das Erreichbare völlig abhanden gekommen. Hat nicht zuletzt noch Pius XII. in seinen Enzykliken Mystici corporis und Humani generis die Identität der Kirche Gottes mit der katholischen Kirche klipp und klar zum Ausdruck gebracht? Du willst ja die Grundfesten der Kirche erschüttern.

Revoluturus: Mein Lieber, wenn ich von einem neuen Selbstverständnis der Kirche spreche, dann meine ich damit einen ganz grundsätzlichen Wandel. Ich lege die Axt an die Wurzel, und begnüge mich nicht damit, einige Äste abzuschlagen.

Moderaturus: (entsetzt) Genau dieses Vorhaben hat Pius X. in seiner Enzyklika Pascendi Dominici gregis als das Vorhaben der Feinde der Kirche bezeichnet, insbesondere der Feinde, die sich in ihrem Inneren befinden, nämlich unter den Laien und Klerikern, sagt er doch, daß diese „... nicht an Äste und Zweige, sondern an die Wurzel ihre Hand anlegen, an den Glauben und an die tiefsten Fasern des Glaubens. Ist aber einmal diese Wurzel des Lebens getroffen, dann werden sie das Gift durch den ganzen Baum verbreiten; kein Stück der katholischen Wahrheit werden sie dann unberührt, keines unverdreht lassen wollen.“*

Da beruhigt es mich nur, daß dein Vorhaben, jene Identität aufzugeben, nicht mehrheitsfähig sein wird.

Revoluturus: Wenn ich so dumm wäre, meine Absicht auszuposaunen, dann hätte ich allerdings keine Chance. Mir schwebt aber eine so geschickte Formulierung vor, daß der Coup trotzdem gelingen wird.

Übrigens, da wir gerade bei der Sprache sind, werde ich dir zunächst eine weitere Methode nennen, die wir uns zunutze machen werden. Wir werden von der scholastischen Sprache unter dem scheinbar unschuldigen Vorwand abgehen, daß das Konzil eine pastorale Zielsetzung hat und sich den Menschen unserer Zeit verständlich machen will. Dafür, so werden wir sagen, ist die theologische Fachsprache ungeeignet, weshalb wir sie durch eine pastorale Sprache, also die Umgangssprache, ersetzen müssen. Dieser Schachzug wird unsere Gegner verunsichern, denn in der pastoralen Sprache sind die Grenzen zwischen wahr und falsch bei weitem nicht so scharf wie in der scholastischen Sprache, in der sie sich seit eh und ja bewegen. Die Biegsamkeit und Mehrdeutigkeit der Umgangssprache werden wir weidlich ausnutzen, insbesondere an dieser Stelle,

Moderaturus: Mit der Einführung mehrdeutiger Begriffe ist dein Sündenregister der unlauteren Methoden weiter angewachsen; aber lassen wir das einmal zur Seite. Sage mir endlich, welchen Ersatz du für die Identität der Kirche Jesu Christi mit der katholischen Kirche schaffen willst.

Revoluturus (schwankt bei seiner Argumentation zwischen der Ich-Form und der Wir-Form, weil er seine Pläne formulieren und zugleich seinen Freund für diese Pläne gewinnen will): Darüber habe ich lange Zeit vergeblich nachgedacht. Die Lösung dieses Problems verdanke ich einem jungen, ehrgeizigen Theologen namens Joseph Ratzinger, dem Berater von Kardinal Frings, und dieser wiederum erhielt sie, dem Vernehmen nach, von einem protestantischen Theologen. Danach werden wir die Identität der Kirche Jesu Christi mit der katholischen Kirche durch die Aussage ersetzen: „Diese Kirche [die Kirche Jesu Christi], in dieser Welt als Gesellschaft verfaßt und geordnet, ist verwirklicht in der katholischen Kirche [subsistit in ecclesia catholica], die vom Nachfolger Petri und von den Bischöfen in Gemeinschaft mit ihm geleitet wird."

Moderaturus: Hm, klar und deutlich ist diese Aussage nicht, aber darin liegt für dich ja wohl gerade ihr Vorteil. Jedenfalls machst du einen Unterschied zwischen der katholischen Kirche und der Kirche Jesu Christi. Willst du eigentlich sagen, die Kirche Jesu Christi ist nur verwirklicht oder ist auch verwirklicht in der katholischen Kirche.

Revoluturus: „Ist nur verwirklicht“ will ich natürlich nicht sagen, sonst könnte ich es ja gleich bei der Identität belassen. „Ist auch verwirklicht“ möchte ich zwar sagen, kann es aber nicht, ohne auf unüberwindlichen Widerstand zu stoßen. Also lasse ich es bei der interpretationsfähigen Wendung „ist verwirklicht“, die wir Neuerer natürlich später im Sinne von „ist auch verwirklicht“ interpretieren werden. Damit sind wir übrigens auf eine weitere Methode gestoßen, die wir für unsere Zwecke einsetzen werden, nämlich die Methode der „offenen Formulierungen“. Dabei handelt es sich, wie schon der Name sagt, um Formulierungen, die für verschiedene Interpretationen offen sind.

Moderaturus: Zweifellos ist die Methode der offenen Formulierungen ein Übel, nicht nur weil sie ebenfalls unter die unlauteren Methoden fällt, sondern auch deshalb, weil sie Verwirrung stiftet. Ich sehe schon, die Heilige Synode wird sich bei ihrer Textgestaltung gelegentlich sehr unheilig gebärden.

Aber ich gebe zu, daß du jene Identität in einer Weise ersetzen willst, welche die Kunst der Politiker, biegsam zu formulieren, noch übertrifft. Diese Formulierung ist raffiniert, fast hätte ich gesagt diabolisch-raffiniert. Dennoch rechne ich hier mit großen Widerstand.

Revoluturus: Den erwarte ich allerdings auch, aber es gibt drei Umstände, die unserem Vorhaben im allgemeinen, also auch in diesem Punkt, zustatten kommen. Wenn wir nämlich einmal die Konzilsväter unter der Disjunktion konservativ - progressiv betrachten, dann lassen sie sich in drei Gruppen einteilen, nämlich in die Gruppen der extrem Konservativen, der extrem Progressiven und in die bei weitem größte Gruppe der „Männer der Mitte“. Erfolg bzw. Mißerfolg der beiden erstgenannten Gruppen wird davon abhängen, ob sie die „Männer der Mitte“ mehrheitlich für sich gewinnen können.

Dabei kommt es uns sehr gelegen, daß wir, im Gegensatz zum konservativen Flügel, über eine außerordentlich aktive Pressestelle verfügen. Wir werden die Konzilsväter geradezu mit Flugblättern bombardieren und diese werden ihre Wirkung nicht verfehlen. Auf diese Weise ziehen wir die „Männer der Mitte“ immer mehr auf unsere Seite. Bevor sich die Konservativen formieren, werden wir dadurch Erfolge erzielen, auf denen wir weiter aufbauen können.

Der zweite Umstand, der mich hoffnungsvoll stimmt, ist die Einstellung der Weltpresse. Sie steht natürlich auf unserer Seite und wird erheblichen Druck auf die Versammlung ausüben. Sie wird ihr ständig in den Ohren liegen mit den „Hoffnungen und Erwartungen der Welt, die das Konzil nicht enttäuschen dürfe, wenn die Kirche von der Welt akzeptiert werden will. Nur so könne sie die Menschen heute noch erreichen, andernfalls würden sie der Kirche den Rücken kehren.“ Der dritte und wichtigste Umstand, der für unseren Sieg über die Konservativen spricht, ist die Haltung des Papstes, denn er steht im Grunde auf unserer Seite, wenn er auch eine zu offensichtliche Parteinahme vermeidet.

Moderaturus: Ob du mit Unterstützung dieser, für unser Vorhaben zweifellos günstigen Umstände, die subsistit-in-Lehre durchsetzen kannst, wird sich zeigen. Gesetzt, es gelänge; welche Konsequenzen willst du aus ihr ziehen?

Revoluturus: Gestatte mir bitte, die Antwort ein wenig zurückzustellen. Ich will dich zuvor mit einer neuen Strategie vertraut machen, mit deren Hilfe wir zu einer gewaltigen Aufwertung der anderen christlichen Denominationen, insbesondere der protestantischen Denominationen, gelangen werden. Diese Strategie besteht in einer Uminterpretation unseres Glaubens.

Moderaturus: Du bist doch ein unverbesserlicher Illusionist. Wie kannst du denn hoffen, die „Männer der Mitte“, geschweige denn die Konservativen, für eine Uminterpretation des Glaubens gewinnen zu können? Dennoch will ich erst einmal von dir genauer erfahren, worauf du überhaupt hinaus willst.

Revoluturus: Erinnerst du dich noch daran, daß wir uns gelegentlich über die „Glaubensklötzchen“ der Konservativen lustig gemacht haben?

Moderaturus (erheitert) : Allerdings, wir meinten damit, daß sie peinlich genau darauf schauen, daß alle einzelnen Glaubenswahrheiten geglaubt werden, also keine derselben relativiert oder gar geleugnet wird. Ihr ganzes Denken dreht sich um die vollständige Bewahrung der einzelnen Glaubenswahrheiten, das Glaubensganze spielt bei ihnen kaum eine Rolle. Wegen dieser Fixierung auf die einzelnen Wahrheiten, die sie geradezu wie Kinder ihre Holzklötzchen aneinanderreihen, sprachen wir spöttisch von Glaubensklötzchen, die sie bewachen wie Fafner das Gold der Nibelungen.

Revoluturus (sarkastisch): Aus ihrer atomistischen Vorstellung vom Glauben, drehe ich ihnen einen Strick und werde sie so mit ihren eigenen Waffen schlagen! Wir beide wissen ja, mein Freund, daß der katholische Glaube sich nicht aus Glaubenswahrheiten zusammensetzt, sondern ein unteilbares Ganzes ist. Die Rede von den Glaubenswahrheiten bringt nämlich, bei Lichte besehen, zum Ausdruck, daß der Mensch dieses Ganze jeweils unter einem bestimmten Aspekt betrachten kann, indem er abstrahierend alle übrigen Aspekte ausblendet und den Inhalt des betreffenden Aspektes als eine spezielle Glaubenswahrheit formuliert. Aber die additistische Fehlvorstellung von der Glaubenswahrheit, die freilich nicht nur bei den Konservativen verbreitet ist, kommt unserem Vorhaben sehr zustatten.

Moderaturus: Das ist zwar wahr, aber du solltest bedenken, daß längst nicht alle unsere Gegner additistisch denken, es unter ihnen vielmehr zahlreiche Anwälte der Glaubenseinheit gibt und andere sind nur latent in den Bahnen dieser Denkweise befangen.

Revoluturus: Deshalb müssen wir auch hier behutsam formulieren. Die Mathematiker haben in ihrer Mengenlehre einen für unsere Zwecke brauchbaren Begriff gebildet; sie sprechen nämlich von den Elementen einer Menge und meinen damit diejenigen Objekte, die zu ihr gehören. Daran orientieren wir uns und entwickeln eine Elemente-Theorie von der Glaubenswahrheit, derzufolge sie aus Elementen besteht, ohne an die große Glocke zu hängen, daß wir dadurch den Glauben eben doch in Teile auflösen.

Der Terminus Elemente verdeckt zum Glück ein wenig diesen Tatbestand und da nicht wenige unserer Gegner, sagen wir, „additistisch angekränkelt“ sind, wird unsere Rechnung aufgehen.

Moderaturus: Nehmen wir einmal an, du hättest damit recht. Welches Kapital gedenkst du denn aus deiner Elemente-Theorie von der Glaubenswahrheit zu schlagen?

Revoluturus: Deine Frage freut mich sehr, denn sie bestätigt mir, daß unsere Gegner nicht ahnen, welch ein Sprengstoff in dieser Lehre steckt. Diese Lehre ist gleichsam das Trojanische Pferd, das wir in die Stadt Gottes bringen werden. Glaube mir, ich werde ganz gewaltiges Kapital aus ihr schlagen, und zwar in verschiedener Hinsicht. Um sogleich auf das Wichtigste deinen Blick zu lenken, beantworte mir bitte folgende Frage: Warum hat die katholische Kirche es bisher abgelehnt anzuerkennen, daß sie Gemeinsamkeiten mit den protestantischen Gemeinschaften besitzt und warum hat sie sich stets als getrennt von ihnen verstanden?

Moderaturus: Der Grund war der innere Zusammenhang aller Glaubenssätze, die Glaubenseinheit, derzufolge die Glaubenssätze Aspekte eines unteilbaren Ganzen sind, wie du richtig sagtest. Alles, was der Protestantismus an in sich Richtigem lehrt, ist, weil auch in dessen System alle Aussagen miteinander verbunden sind, durch die Irrtümer dieser Glaubenslehre insofern entwertet, als sie anstelle ihres positiven einen zwiespältigen Wahrheitswert erhalten. Man darf sich eben nicht von dem Trugbild gleichlautender Aussagen blenden lassen. Deshalb sprachen schon die Kirchenväter von der Reinigungsbedürftigkeit alles dessen, was in religiösen Lehren außerhalb der katholischen Kirche, für sich betrachtet, richtig ist.

Revoluturus: Du benennst genau die Schwierigkeit, die sich uns in den Weg stellt, wenn wir, von Gemeinsamkeiten mit dem Protestantismus sprechen wollen, was aber für unser Vorhaben, sich diesem anzunähern, unverzichtbar ist. Deshalb hilft es nichts, wir müssen an dieser Stelle wieder einmal zweigleisig fahren. In der einen Textpassage formulieren wir Aussagen, die im Sinne der Kirchenväter jene Reinigungsbedürftigkeit zum Ausdruck bringen, in einer anderen lassen wir sie aber unter den Tisch fallen und an diese knüpfen wir später an, insbesondere dort, wo es uns darum geht, einen völlig neuen Ökumenismus zu etablieren. So werden wir verallgemeinernd sagen: „Was an Gutem in Herz und Sinn der Menschen oder auch in den jeweiligen Riten und Kulturen keimhaft angelegt ist, wird folglich [durch die katholische Kirche] nicht bloß nicht zerstört, sondern gesund gemacht, über sich hinausgehoben und vollendet zur Herrlichkeit Gottes, zur Beschämung des Satans und zur Seligkeit des Menschen." Andererseits wirst du aber die folgende Aussage finden, welche die Reinigungsbedürftigkeit unterschlägt: „Die katholische Kirche lehnt nichts von alledem ab, was in diesen Religionen wahr und heilig ist.“ An dem, was wahr und heilig ist, gibt es nichts gesund zu machen und zu reinigen. Diese Aussage werden wir unserem neuen Ökumenismus zugrunde legen und natürlich nicht die erstgenannte, die ihm den Boden entziehen würde. Du wirst sehen, in nachkonziliarer Zeit kräht kein Hahn mehr nach der Reinigungsbedürftigkeit.

Moderaturus: Du bedienst dich also unredlicherweise eines Trugbildes, nämlich, wie gesagt, des Trugbildes gleichlautender Sätze, um deinen neuen Ökumenismus, den du mir noch erklären mußt, verwirklichen zu können. Doch möchte ich zunächst wissen, was dich zu der Hoffnung berechtigt zu meinen, daß jener Widerspruch unbemerkt bleibt.

Revoluturus: Zwei derartige Sätze dürfen natürlich nicht nahe beieinander stehen und die zweite Aussage muß, wie immer bei unseren „Querschlägern“, in ein traditionstreu klingendes Umfeld eingebettet sein. Deshalb werden wir diese konträren Aussagen in zwei getrennten Dokumenten unterbringen, was ein ausreichender „Puffer“ sein dürfte. Abgesehen davon, werden es unsere Gegner in dieser Sache kaum auf eine argumentative Auseinandersetzung ankommen lassen, denn soweit ich sehe, ist es der Kirchenphilosophie bis heute nicht gelungen, jene Reinigungsbedürftigkeit philosophisch zu untermauern, ganz abgesehen davon, daß diese Philosophie seit langer Zeit kraftlos vor sich hindämmert. Wenn sie die Reinigungsbedürftigkeit verteidigen wollen, kommen sie in Argumentationsnot.

Moderaturus: Hm, schon möglich, aber was willst du denn mit der Elemente-Theorie von der Glaubenswahrheit nun konkret anfangen?

Revoluturus: Ich werde sie, wie gesagt, in mehrfacher Hinsicht auswerten, nämlich im Hinblick auf unseren Glauben, im Hinblick auf die anderen christlichen Religionen und schließlich auch noch über das Christentum hinaus. Doch sprechen wir zunächst über die Folgen für unseren Glauben. Die Umdeutung ins Quantitative, die der Glaube als Ganzes durch diese Theorie erfährt, wirkt sich auf zentrale Begriffe desselben aus, indem diese ebenfalls ins Quantitative umgedeutet werden. Ich will dir das am Begriff der Fülle des katholischen Glaubens erläutern. Fülle ist, darüber sind wir uns ja im klaren, nur eine Bezeichnung für die Totalität der Glaubenswahrheit. Im Verständnis der Elemente-Theorie hingegen, bedeutet Fülle den vollständigen Besitz aller einzelnen, besser gesagt, aller vereinzelten Glaubenswahrheiten. So wird es heißen: „Denn einzig dem Apostelkollegium, an dessen Spitze Petrus steht, hat der Herr, so glauben wir, alle Güter des neuen Bundes anvertraut.“

Moderaturus: Jetzt verstehe ich, worauf du hinaus willst. Durch die quantitative Uminterpretation des Begriffs der Fülle, sind die christlichen Denominationen hinsichtlich des Besitzes der Glaubenswahrheit nur noch quantitativ voneinander unterschieden, die katholische Kirche besitzt alle Glaubenswahrheiten und alle anderen christlichen Denominationen besitzen sie in geringerem Maße. Auf diese Weise machst du aus dem qualitativen Gegensatz wahr - falsch, den bloß quantitativen Unterschied vollständig - unvollständig. Von Reinigungsbedürftigkeit des in sich Richtigen in irrtumsbehafteten Religionssystemen kann dann keine Rede mehr sein, denn sie fällt bei der Elemente-Theorie, welche die Glaubenswahrheiten als nebeneinander bestehend versteht, unter den Tisch.

Revoluturus: Genau, dieser ins Quantitative uminterpretierte Begriff der Fülle erweist sich also als ein mächtiges Instrument zur Aufwertung insbesondere der protestantischen Denominationen, und er befördert damit zugleich unsere Annäherung an diese. Solange nämlich, wie in der überlieferten Lehre, alle Glaubenswahrheiten miteinander verbunden sind, gibt es im Grunde keine Gemeinsamkeit mit dem Protestantismus, weil alles für sich betrachtet Richtige in diesem System an Glaubensirrtümer gebunden und insofern entwertet ist. Infolge dieser Entwertung kann von Gemeinsamkeit keine Rede sein.

Wenn wir aber, mittels der Elemente-Theorie, sowohl unseren als auch den protestantischen Glauben in Partikel auflösen, dann gibt es viele übereinstimmende Glaubenspartikel und mit diesen gewinnen wir die Gemeinsamkeiten, die wir für unseren neuen Ökumenismus brauchen.

Gemeinsamkeiten, mein Freund, wird das große Zauberwort sein, mit dem wir in nachkonziliarer Zeit die Annäherung an die anderen Religionen immer weiter vorantreiben werden. Der Zauberkraft dieses Wortes werden sich die weitaus meisten, Kleriker wie Laien, nicht entziehen können. (Boshaft) Im Einsatz gegen unsere Gegner, die Vorbehalte gegen die Verständigung mit den anderen Religionen haben, werden wir diesen Begriff als Schlagwort benutzen, und sie können sich seiner Schläge nicht erwehren, weil sie, von wenigen Ausnahmen abgesehen, der Gemeinsamkeitsproblematik argumentativ nicht gewachsen sind. Übrigens sind Schlagworte ein wirkungsvolles Instrument in unserer Hand, weil sie bei den von den Medien beeinflußten Menschen signalhaft die Emotionen erzeugen, die wir erzeugen wollen.

Wie du siehst, wird uns die Ankopplung an den Protestantismus und anschließend auch an die nichtchristlichen Denominationen über eine neue philosophische Lehre gelingen, denn die Elemente-Theorie ist eine philosophische Systemtheorie, die wir auf die Theologie anwenden. Aber es kommt noch besser, denn wir werden die Elemente-Theorie nicht nur auf die Lehre anwenden, sondern auch auf den sakramentalen Bereich.

Moderaturus: Jetzt schießt du wieder einmal über das Ziel hinaus; es gibt doch bei den Sakramenten keine Stufung. Ein Sakrament ist gegeben, oder es ist nicht gegeben.

Revoluturus: In der Tat müssen wir hier vorsichtig zu Werke gehen und sprechen den protestantischen Denominationen zunächst einmal nur den Besitz der Taufe als sakramentalen Besitz zu.

Moderaturus: Auch das geht schon zu weit. Du bist doch in der katholischen Glaubenslehre bewandert genug, um zu wissen, daß die Taufe allein durch die Kirche Gottes gespendet wird, auch dann, wenn sie ein Laie spendet und ein protestantischer Pastor ist in Wahrheit ja nur ein Laie.

Revoluturus: Selbstverständlich weiß ich das, weshalb ich ja auch anstelle eines durch, listig ein interpretationsfähiges in setzen werde. Es wird nämlich im Text von den nicht-katholischen Christen heißen, sie „empfangen das Zeichen der Taufe, wodurch sie mit Christus verbunden werden; ja sie anerkennen und empfangen auch andere Sakramente in ihren eigenen Kirchen oder kirchlichen Gemeinschaften."

Moderaturus: Unklarer geht es wohl nicht!

Revoluturus: Klarer darf es leider aber auch nicht sein, denn mit jenem durch würden wir bei unseren Gegnern auf unüberwindbare Hindernisse stoßen.

Moderaturus: Was meinst du eigentlich mit „andere Sakramente“?

Revoluturus: Die Eucharistie, was an anderer Stelle deutlich wird, wo es heißt, daß „die getrennten Kirchen und Kirchlichen Gemeinschaften im Abendland vor allem wegen des Fehlens des Weihesakraments die ursprüngliche und vollständige Wirklichkeit des eucharistischen Mysteriums nicht bewahrt haben." Indem ich einen doppelten Mangel hervorhebe, jubele ich den Gegnern unter, daß die Protestanten das eucharistische Mysterium bewahrt haben, nur nicht seine „ursprüngliche und vollständige Wirklichkeit“. Jedenfalls kann man jenen Satz so verstehen.

Moderaturus: Ich möchte wissen, was das heißen soll „unvollständige Wirklichkeit des eucharistischen Mysteriums“. Was ist denn das eucharistische Mysterium? Die Wandlung der Gaben Brot und Wein in den Leib und das Blut Jesu Christi. Diese Wandlung findet entweder statt, oder sie findet nicht statt. Es ist doch sinnlos, von einem mehr oder weniger verwirklichten eucharistischen Mysterium zu sprechen.

Revoluturus: Natürlich ist diese Ausdrucksweise dunkel, aber da sie von den genannten Einschränkungen flankiert ist, kann ich sie über die Bühne ziehen. Wichtig ist mir, daß wir den Protestantismus auch auf der sakramentalen Ebene aufwerten und darüber hinaus mit dieser Formulierung den Fuß in der Tür haben, die in nicht allzu ferner Zukunft zur Anerkennung seiner Ämter und zur Anerkennung des protestantischen Abendmahles durch die katholische Kirche führt.

Moderaturus: Die Anerkennung einer lediglich unvollständigen Glaubenslehre und das, was du ihnen auf der sakramentalen Ebene zuerkennst, bedeuten zweifellos eine enorme Aufwertung der protestantischen Denominationen. Aber wenn wir uns fragen, was für den Menschen letztendlich das Entscheidende im Hinblick auf die Religion ist, dann lautet die Antwort: Ausschlaggebend ist, ob sie eine Heilsmittlerschaft besitzt oder nicht. Diese besitzen aber die protestantischen Denominationen nach katholischer Lehre nicht, so daß hier zumindest ihrer Aufwertung eine Grenze gesetzt ist.

Revoluturus: Genau das ist der springende Punkt. Wenn es nicht gelingt, ihnen eine Heilsmittlerschaft zuzuerkennen, dann kann es keinen Durchbruch in der Annäherungsproblematik geben, deshalb werden wir den protestantischen Gemeinschaften auf Biegen und Brechen eine Heilsmittlerschaft zuerkennen.

Moderaturus: Bist du von Sinnen, du kannst doch nicht dem Dogma widersprechen, daß die Zugehörigkeit zur Kirche für alle Menschen heilsnotwendig ist, das auch in den bekannten Worten ausgedrückt wird: extra ecclesiam nulla salus - außerhalb der Kirche gibt es kein Heil!

Revoluturus: Diesen Einwand habe ich erwartet. In diesem sensiblen Bereich ist Formulierungskunst gefragt; wir müssen alle Register unserer Diplomatie ziehen und dazu gehört, daß wir auch hier widersprüchliche Aussagen zulassen. Wir werden einerseits den Konservativen entgegenkommen und sagen: „Darum könnten jene Menschen nicht gerettet werden, die um die katholische Kirche und ihre von Gott durch Christus gestiftete Heilsnotwendigkeit wissen, in sie aber nicht eintreten oder in ihr nicht ausharren wollten." Aber in einem anderen Dokument wird es heißen: „Auch zahlreiche liturgische Handlungen der christlichen Religion werden bei den von uns getrennten Brüdern vollzogen, die auf verschiedene Weise je nach der verschiedenen Verfaßtheit einer jeden Kirche und Gemeinschaft ohne Zweifel tatsächlich das Leben der Gnade zeugen können und als geeignete Mittel für den Zutritt zur Gemeinschaft des Heiles angesehen werden müssen. Ebenso sind diese getrennten Kirchen und Gemeinschaften trotz der Mängel, die ihnen nach unserem Glauben anhaften, nicht ohne Bedeutung und Gewicht im Geheimnis des Heiles. Denn der Geist Christi hat sich gewürdigt, sie als Mittel des Heiles zu gebrauchen, deren Wirksamkeit sich von der der katholischen Kirche anvertrauten Fülle der Gnade und Wahrheit herleitet."

Moderaturus: Du willst also den Konzilsvätern schon wieder widersprüchliche Textpassagen vorlegen und meinst, durch Verteilung auf verschiedene Dokumente den Widerspruch kaschieren zu können.

Revoluturus: Nicht allein dadurch, denn ich komme ja in der zweiten Passage unseren Gegnern entgegen, indem ich zwar auch den protestantischen Denominationen eine Heilsmittlerschaft zuerkenne, aber hinzusetze, daß „deren Wirksamkeit sich von der der katholischen Kirche anvertrauten Fülle der Gnade und Wahrheit herleitet.“

Moderaturus: Du bist aber dabei klug genug, nicht darauf einzugehen, wie diese Herleitung zu denken ist.

Revoluturus: Danach zu fragen, wie etwas zu denken ist, entspricht nicht dem Denkstil unserer Gegner, weshalb ich guten Mutes bin, daß mir diese Frage erspart bleibt.

Moderaturus: Selbst wenn in den konservativen Reihen der Nachsatz als Beruhigungspille wirkt, weil man seine Unhaltbarkeit nicht durchschaut, so werden doch die protestantischen Denominationen auf jeden Fall an ihm Anstoß nehmen, denn für sie ist es unerträglich, daß sie die ihnen zuerkannte Heilsmittlerschaft der katholischen Kirche verdanken sollen.

Revoluturus: Deshalb werden wir in den erklärenden Anmerkungen die Bedeutung dieses Nachsatzes herunterspielen, und zwar dahingehend, daß die Existenz der katholischen Kirche die Bedingung dafür war, daß sie jene Elemente bewahren konnten. Die Heilswirksamkeit selbst komme ihnen direkt durch den Geist Christi zu.

Moderaturus: Das ist aber auch nicht möglich, denn eine von der katholischen Kirche getrennte Gemeinschaft kann doch nicht den Beistand des Heiligen Geistes genießen, da ihre Trennung ein Widerstand gegen Ihn ist.

Revoluturus: Wie gesagt, ich baue darauf, daß der Gegner hier nicht nachbohrt. Übrigens ist jener Nachsatz nicht nur theoretisch gegenstandslos, wie du richtig erkannt hast, er ist es auch in praktischer Hinsicht. Denn ein Mensch, der einer von der katholischen Kirche getrennten Gemeinschaft angehört, fragt doch nicht warum dieser eine Heilswirksamkeit zukommt, sondern ihm kommt es darauf an, daß sie ihr zukommt. Deshalb wird dieser Nachsatz in nachkonziliarer Zeit keine Rolle spielen, ich mache also mit ihm dem Gegner nur zum Schein eine Konzession, und zwar sowohl in theoretischer also auch in praktischer Hinsicht.

Moderaturus: Bist du dir eigentlich im klaren darüber, daß du mit der Zuerkennung einer Heilsmittlerschaft bezüglich der in Opposition zur Kirche gegründeten christlichen Denominationen, der katholischen Mission den Boden entziehst, insofern diese sich auf die Angehörigen derselben richtet?

Revoluturus: Es ist ja meine Absicht, diesen Missionsbestrebungen den Boden zu entziehen, denn sie stehen meinem neuen Ökumenismus im Wege. Wir können doch nicht zu diesen Gemeinschaften ein gutes Verhältnis aufbauen und zugleich ihre Anhänger mit Mystici corporis auffordern, „sich aus einer Lage zu befreien, in der sie des eigenen ewigen Heiles nicht sicher sein können.“

Doch bevor ich dir diesen neuen Ökumenismus erläutere, gilt es noch, eine grundlegende Veränderung des Selbstverständnisses der Kirche ins Auge zu fassen.

Moderaturus (bedrückt): Was willst du denn noch alles ändern? Nach dem Konzil kennen wir unsere Kirche ja nicht mehr wieder!

Revoluturus (befürchtet, daß ihm sein Gesprächspartner von der Fahne geht und versucht ihn zu besänftigen):

Mein Freund, die von uns angestrebte Öffnung zu den anderen Religionen und zur Welt ist nun einmal nicht zum Nulltarif zu haben (schenkt ihm ein und trinkt auf sein Wohl) Prosit! Wie recht hat doch Wilhelm Busch, wenn er sagt:

„Rotwein ist für alte Knaben,
Eine von den besten Gaben.“*

Übrigens wird sich das Konzil lange hinziehen, weshalb ich dich herzlich bitten möchte, einen nicht zu knapp bemessenen Vorrat von diesem herrlichen Assmannshäuser Höllenberg anzulegen. Wir werden seiner aus doppeltem Grund bedürfen: Er soll unser Tröster in den Niederlagen sein, die uns unsere Gegner bereiten und mit ihm wollen wir unsere Siege über sie feiern.

Moderaturus (stolz): Keine Bange, mein Weinkeller ist wohlgefüllt. Doch fahre nun fort mit deiner Veränderung des Selbstverständnisses der Kirche.

Revoluturus: Die folgende Änderung am traditionellen Selbstverständnis der Kirche zielt ebenfalls darauf ab, den neuen Ökumenismus zu ermöglichen. Nachdem wir die anderen christlichen Denominationen in der genannten Weise aufgewertet haben, so daß wir schließlich auch den protestantischen Gemeinschaften eine Heilsmittlerschaft zuerkannt haben, ist der Zeitpunkt gekommen, einen neuen Volk-Gottes-Begriff einzuführen und die Kirche damit zu identifizieren. Übrigens stützen wir den Begriff der Kirche auf die Volk-Gottes-Beschreibung derselben, weil die beiden anderen hauptsächlichen Kennzeichnungen der Kirche, als der mystische Leib Christi bzw. als die Braut Christi für den neuen Ökumenismus untauglich sind; diesen werden wir deshalb nur flüchtig unsere Referenz erweisen.

Moderaturus: Das mit dem neuen Volk-Gottes-Begriff kann dir schwerlich gelingen, denn der Volk-Gottes-Begriff ist, wie du weißt, nach der Lehre der Kirche durch die folgenden drei Bedingungen festgelegt:

a) Das Bekenntnis des integralen katholischen Glaubens b) Die sakramentale Einheit, insbesondere die Eucharistiegemeinschaft c) Die Unterordnung der Gläubigen unter die gottgewollte Hierarchie.

Revoluturus: Wohl kenne ich diese berühmte dreifache Fessel, aber von dieser werden wir uns befreien, mit der gebotenen Vorsicht, versteht sich.

Moderaturus: Da bin ich aber gespannt, wie du das anstellen willst.

Revoluturus: Zunächst einmal werde ich die bewährte Methode der Einbettung unserer zur überlieferten Lehre konträren Aussagen in ein traditionskonform klingendes Textumfeld anwenden. Das allein reicht aber nicht aus. Auch hier kommen wir um eine Zweigleisigkeit nicht herum, diesmal aber ist sie von anderer Art. Wir werden nämlich parallel zueinander zwei verschiedene Volk-Gottes-Begriffe verwenden, nämlich den traditionellen und einen neuen, ohne das natürlich ausdrücklich zu sagen. Du wirst also so kernkatholische Äußerungen finden wie: „Der Amtspriester nämlich bildet kraft seiner heiligen Gewalt, die er inne hat, das priesterliche Volk heran und leitet es." bzw. „Eines ist also das auserwählte Volk Gottes: 'Ein Herr, ein Glaube, eine Taufe' (Eph 4,5)". Solche Aussagen werden bei unseren Gegnern den Eindruck erwecken, daß das Konzil den rechtgläubigen Volk-Gottes-Begriff lehrt. Parallel dazu werden wir aber einen inhaltlich gewandelten Volk-Gottes-Begriff verwenden, wir führen also heimlich am alten Begriff eine Sinnmutation durch, was übrigens eine Methode ist, derer wir uns auch noch in anderen Zusammenhängen bedienen.

Moderaturus: Jetzt rücke endlich damit heraus, wie du deinen neuen Volk-Gottes-Begriff fassen willst.

Revoluturus: Bei dieser Sinnmutation fallen wir selbstverständlich nicht mit der Tür ins Haus, sondern werden den neuen Begriff vielmehr ganz nebenbei einfließen lassen, und ich wette, daß man noch Jahre nach dem Konzil von der Parallelität zweier Volk-Gottes-Begriffe im Konzilstext nichts merken wird. Die Neudefinition leiten wir ein, indem wir in hohen Tönen vom Volk Gottes sprechen. Dabei kommen Wendungen vor wie die folgenden: „Dieses messianische Volk hat zum Haupte Christus. Von Christus als Gemeinschaft des Lebens, der Liebe und der Wahrheit gestiftet, wird es von ihm auch als Werkzeug der Erlösung angenommen und als Licht der Welt und Salz der Erde (vgl. Mt 5, 13 - 16) in alle Welt gesandt."

Moderaturus: Was du beschönigend Sinnmutation nennst, ist in Wirklichkeit ein semantischer Betrug. Mit deinem neuen Volk-Gottes-Begriff erweckst du ja den Eindruck, als ob Christus unmittelbar, ohne Seine Kirche, ein neues Volk gestiftet hätte und du sprichst diesem Eigenschaften zu, die in Wirklichkeit den Aposteln und ihren Nachfolgern zukommen.

Revoluturus: Das hast du richtig erkannt, denn es kommt mir darauf an, eine unmittelbare Beziehung zwischen Christus und diesem Volk zu konstruieren, und auf dieser Grundlage gelange ich dann zu folgender Definition: „Gott hat die Versammlung derer, die zu Christus als dem Urheber des Heils und dem Ursprung der Einheit und des Friedens glaubend aufschauen, als seine Kirche zusammengerufen und gestiftet, damit sie allen und jedem das sichtbare Sakrament dieser heilbringenden Einheit sei.“

Moderaturus (ringt um Fassung): Das ist ja toll, fast genau so hat sich Luther ausgedrückt. Um zum Volk Gottes bzw. zur Kirche zu gehören ist es demnach nur erforderlich, „zu Christus als dem Urheber des Heils und dem Ursprung der Einheit und des Friedens glaubend aufzuschauen.“ Diese Begriffsbestimmung entspricht doch der im protestantischen Raum entwickelte Fundamentalartikellehre, derzufolge der Glaube an gewisse „fundamentale“ Glaubenswahrheiten genügt, um zur Kirche zu gehören. Alle Protestanten gehören nach deiner Definition zu ihr. Die dreifache Einheit des überlieferten Volk-Gottes-Begriffs ist damit in jeder Hinsicht aufgegeben.

Revoluturus (lächelt): Die Befreiung von dieser dreifachen Fessel ist unverzichtbar, wenn es zu einer alle Christen umfassenden Ausweitung des Begriffes Kirche kommen soll, die auch deren Gemeinschaften umfaßt. Übrigens kann ich dir jetzt deine Frage beantworten, was ich mit der subsistit-in-Lehre anzufangen gedenke. Diese macht ja einen Unterschied zwischen der Kirche Jesu Christi und der katholischen Kirche ohne die erstere inhaltlich zu bestimmen. Nun bestimme ich sie, indem ich sie mit der Kirche identifiziere, die durch das Volk Gottes gegeben ist, wobei ich natürlich den umgedeuteten Volk-Gottes-Begriff meine.

Moderaturus: Aha, du brauchst also den Unterschied, den die subsistit-in-Lehre macht, um Platz für deinen neuen Kirchenbegriff zu bekommen, der sich auf die Kirche Jesu Christi bezieht. Der neue Volk-Gottes-Begriff ist auf diese Kirche Jesu Christi geschlüsselt und definiert sie, während der überlieferte Volk-Gottes-Begriff auf die katholische Kirche geschlüsselt ist.

Revoluturus: Du sagst es, und auf diese Weise gelange ich dazu, daß meine Kirche Jesu Christi die katholische Kirche umfaßt.

Moderaturus: Das hast du raffiniert ausgedacht. Bist du dir eigentlich darüber im klaren, daß du mit deinem neuen Kirchenbegriff die Wesenseigenschaft der Katholizität der katholischen Kirche implizit leugnest? Wenn die Kirche Jesu Christi nämlich die katholische Kirche umfaßt, dann kann diese nicht mehr die katholische = allgemeine Kirche sein.

Revoluturus (lacht): Allerdings bin ich mir darüber im klaren; die Preisgabe dieser Wesenseigenschaft ist ja notwendig, damit ich meinen neuen Ökumenismus auf die Bahn bringen kann.

Moderaturus (verblüfft): Ich sehe es nun klar, daß die einzelnen Schritte der Veränderung des Selbstverständnisses, die du vornehmen willst, folgerichtig ineinandergreifen und sie werden, falls du sie durchsetzen kannst, in ihrer Gesamtheit eine gewaltige Sprengkraft erzeugen. Hättest du noch vor 10 Jahren solche Gedanken geäußert, dann wärest du umgehend zum Widerruf aufgefordert und im Falle der Weigerung exkommuniziert worden.

Revoluturus (trocken): Deshalb habe ich ja mit meinen Äußerungen auch gewartet, bis Pius XII. in die Ewigkeit abberufen wurde und nun, da wir mit Johannes XXIII. einen liberalen Papst haben, brauche ich nichts mehr zu befürchten. Aber ich habe noch eine grundsätzliche Modifikation des Selbstverständnisses der Kirche vor, die in eine andere Richtung geht. Sie zielt auf eine Uminterpretation sowohl des seinshaften als auch des funktionalen Aspektes der Kirche.

Moderaturus: Dunkel ist deiner Rede Sinn. Der seinshafte und der funktionale Aspekt der Kirche sind eng miteinander verbunden. Ihr Sein besteht wesentlich darin, daß Christus durch sie handelt, ihr die Verwaltung der Heilsmittel anvertraut hat und ihre Funktion besteht in erster Linie darin, daß sie die Heilsfrüchte ihren Gläubigen zuteilt.

Revoluturus (entschlossen): Ich werde den seinshaften Aspekt unterminieren, indem ich mit folgendem Satz eine unmittelbare Verbindung von Christus mit jedem Menschen konstruiere: „Denn er, der Sohn Gottes, hat sich in seiner Menschwerdung gewissermaßen mit jedem Menschen vereinigt." Diese Aussage ist zugegebenermaßen interpretationsfähig, man kann sie im Sinne der überlieferten Lehre deuten, man kann sie aber auch so deuten, daß Christus Sich, sozusagen hinter dem Rücken Seiner Kirche, bereits mit jedem Menschen vereinigt hat, bevor die Kirche überhaupt in Erscheinung tritt, und mir schwebt vor, daß ein künftiger Papst diese Deutung als die Aussageabsicht des Konzils festlegt, indem er vom Sein in Christus eines jeden Menschen spricht [Johannes Paul II.], ganz im Sinne unseres Freundes Karl Rahner, der dieses Sein in Christus das anonyme Christsein jedes Menschen nennt.

Moderaturus: Was ist denn dann noch die Aufgabe der Kirche, wenn sozusagen ohne ihr Zutun bereits eine gewisse Vereinigung zwischen Christus und jedem Menschen stattgefunden hat?

Revoluturus: Die folgende Schlüsselstelle im Konzilstext wird die Antwort andeuten: „Die Kirche ist ja in Christus gleichsam das Sakrament, das heißt Zeichen und Werkzeug für die innigste Vereinigung mit Gott wie für die Einheit der ganzen Menschheit." Zusammen mit dem zuvor Gesagten ist danach die Kirche „Zeichen und Werkzeug“ für das, was Christus am Menschen bereits ohne sie vollzogen hat, genauer, sie ist Zeichen für die Existenz jenes Seins eines jeden Menschen in Christus und Werkzeug für die Kundgabe dieses Seins. Denn jeder Mensch hat nach der neuen Lehre zwar ein Sein in Christus, nur weiß er zunächst noch nichts davon, deshalb ist es die Aufgabe der Kirche, ihm dies bewußt zu machen.

Moderaturus (fassungslos): Du gibst ja den Begriffen Zeichen, Werkzeug und Einheit einen völlig anderen Sinn. Nach katholischer Lehre ist die Kirche doch Zeichen für die Einheit jener Menschen, die als Volk Gottes den Leib Christi bilden, also keineswegs Zeichen für die Einheit aller Menschen, was du auch immer mit dieser Einheit meinst, und sie ist Werkzeug für jene Einheit, insofern sie vom Herrn den Missionsauftrag erhalten hat, alle Menschen in die Einheit der Kirche hineinzunehmen, die hineingenommen werden wollen. Du vollziehst ja eine radikale Umdeutung ihres Seins und ihrer Funktion unter Beibehaltung der entsprechenden Worte! Das ist wiederum ein semantischer Betrug! Was du vorhast ist Wahnsinn, du erschütterst ja Grundlagen der Kirche. Da bleibt kein Stein mehr auf dem anderen (hält einen Augenblick inne) à propos „kein Stein mehr auf dem anderen“ - da fällt mir eine Vision der seligen Anna Katharina Emmerick ein. Sie sah in dieser Vision die Peterskirche und Menschen, auch Kleriker, die Steine aus dem Mauerwerk herausbrachen und sie heraustrugen. Sollte durch dein Vorhaben, wenn es denn verwirklicht wird, diese Vision in Erfüllung gehen? Mir schaudert vor diesem Gedanken!

Revoluturus (befürchtet erneut, daß sein Freund der Revolution den Rücken kehrt; er schenkt ihm nach, leert dabei die zweite Flasche und fährt, von der Thematik ablenkend, besänftigend fort): Du mußt immer im Auge behalten, was wir durch die Veränderung des Selbstverständnisses der Kirche gewinnen können, die Freundschaft der Welt und der anderen Religionen. Laß uns deshalb davon sprechen und zwar zunächst von meinem neuen Ökumenismus.

Moderaturus (ärgerlich): Was soll das eigentlich heißen „neuer Ökumenismus“. Aufgrund des Missionsbefehls unseres Herrn, ist es doch die Aufgabe der Kirche zu versuchen, die Menschen für Seine Kirche zu gewinnen, was der Terminus „Rückkehr-Ökumene“ zum Ausdruck bringt.

Revoluturus: Mein Lieber, solange die Kirche die Rückkehr-Ökumene vertritt, kann es keine Freundschaft mit den anderen Religionen geben. Sie kann doch nicht einerseits ein herzliches Verhältnis zu diesen Religionen anstreben und andererseits deren Anhänger auffordern, ihre Religionsgemeinschaften zu verlassen und in die katholische Kirche einzutreten.

Moderaturus: Das ist logisch, aber wie willst du von der Rückkehr-Ökumene loskommen, die zweifellos zum Selbstverständnis unserer Kirche gehört und vom vorkonziliaren Lehramt immer wieder bekräftigt wurde?

Revoluturus: Hier gilt es zu beachten, daß die Rückkehr-Ökumene auf das traditionelle Selbstverständnis der katholischen Kirche geschlüsselt ist, nicht aber zum neuen Selbstverständnis paßt, das wir auf dem Konzil durchsetzen werden, bevor die Rede auf den Ökumenismus kommt. Nachdem wir nämlich die anderen christlichen Denominationen enorm aufgewertet und sogar den protestantischen Denominationen eine Heilsmittlerschaft zuerkannt haben, kann die Rückkehr-Ökumene nicht mehr aufrechterhalten werden. Jetzt ernte ich, was ich mit dem neuen Selbstverständnis gesät habe, denn dieses versetzt mich nun in die Lage, an die Stelle der Rückkehr-Ökumene eine Koexistenz-Ökumene zu setzen, die dadurch gekennzeichnet ist, daß sich alle christlichen Denominationen gegenseitig anerkennen.

Moderaturus: Es ist wohl zutreffend, daß die Rückkehr-Ökumene nicht zum neuen, konziliaren Selbstverständnis der Kirche paßt, aber ich vermag nicht zu erkennen, wie du deine Koexistenz-Ökumene verwirklichen willst.

Revoluturus: Der erste und zugleich folgenschwere Schritt ist der Anschluß der katholischen Kirche an die Ökumenische Bewegung.

Moderaturus: Ein solcher Anschluß wird dir schwerlich gelingen, denn das bisherige Lehramt hat diesem Vorhaben einen Riegel vorgeschoben, indem es sogar verbot, an Konferenzen dieser Bewegung teilzunehmen bzw., wenn katholische Beobachter bei ihnen zugelassen wurden, dann stand diese Teilnahme im Zeichen der Mission. Diese Zurückhaltung des Lehramtes ist ja auch kein Wunder, wurde die Ökumenische Bewegung doch seinerzeit in Opposition zur Rückkehr-Ökumene der katholischen Kirche ins Leben gerufen, was dir unsere Gegner vorhalten werden.

Revoluturus: Mag sein, daß sie mir das vorhalten, aber argumentativ sitzen sie am kürzeren Hebel, nachdem die Versammlung die grundsätzlichen Veränderungen des Selbstverständnisses der Kirche gebilligt hat. Darauf gestützt, kann ich ihre Einsprüche gegen den Anschluß an die Ökumenische Bewegung vom Tisch fegen und sie werden erkennen, daß mit diesen Veränderungen der Rückkehr-Ökumene der Boden entzogen worden ist.

Moderaturus: Was versprichst du dir denn nun konkret von dem Anschluß an diese Bewegung?

Revoluturus: Zunächst einmal wird mit diesem Anschluß der Rückkehr-Ökumene der Todesstoß versetzt und sie stirbt sozusagen lautlos. Ich brauche sie nämlich gar nicht mehr zu debattieren, weil allein der Anschluß an diese Bewegung sie automatisch beseitigt. Denn die Ökumensiche Bewegung strebt eine Einheit aller Christen außerhalb der katholischen Kirche an, wurde sie doch, wie du richtig sagst, in Opposition zu den Bestrebungen der Kirche gegründet, eine Einheit aller Christen in ihr zu verwirklichen. Der Anschluß an die Ökumenische Bewegung ist also die konziliare Revolution in puncto Ökumenismus.

Moderaturus: Wenn ich es recht verstehe, ist die Einheit, welche die Ökumenische Bewegung anstrebt, eine Einheit in deiner abstrakten Überkirche, die du Kirche Jesu Christi nennst ...

Revoluturus: ... wobei ich, indem ich dies formuliere, auf keinen ernsthaften Widerstand stoßen werde, weil (er kichert in sich hinein) die Konservativen die Kirche Jesu Christi mit der katholischen Kirche identifizieren. Allerdings gibt es gewisse Punkte, an denen sie hellhörig werden können. Ich werde nämlich sagen: „In dieser einen und einzigen Kirche Gottes sind schon von den ersten Zeiten an Spaltungen entstanden.“

Moderaturus: Da mußt du allerdings mit Widerstand rechnen, denn die überlieferte Lehre kennt nur Abspaltungen von der Kirche. Hätte es Spaltungen in ihr gegeben, dann hätte sie ja ihre Einheit verloren, die eines ihrer vier Wesensmerkmale ist. In der Tat sind es also Abspaltungen von der katholischen Kirche gewesen, jedoch kann man von Spaltungen in deiner abstrakten Überkirche sprechen.

Revoluturus: Ich werde ihre Bedenken zerstreuen, indem ich in einem Atemzug von der „Trennung recht großer Gemeinschaften von der vollen Gemeinschaft der katholischen Kirche“ spreche, was mit meiner Konzeption, wie du richtig erkannt hast, verträglich ist, und auf diese Weise werden sie die Kröte „Spaltungen in schlucken. Wie du wohl bemerkst, löse ich dabei erneut eine Qualität in eine Quantität auf, indem ich anstatt von einem Getrenntsein der anderen Denominationen von der katholischen Kirche, von einer Trennung dieser Denominationen von der vollkommenen Gemeinschaft mit unserer Kirche spreche.

Schwieriger wird es bei den folgenden Aussagen, mit denen ich auf eine Einheit in meiner christlichen Überkirche abziele. So wird es heißen: „Fast alle streben, wenn auch auf verschiedene Weise, zu einer einen, sichtbaren Kirche Gottes hin, die wahrhaft universal und zur ganzen Welt gesandt ist, damit sich die Welt zum Evangelium bekehre und so ihr Heil finde zur Ehre Gottes.“ Diese Kirche, kann gar nicht die katholische Kirche sein, denn anzunehmen, die protestantischen Gemeinschaften würden z.B. danach streben das Petrusamt anzuerkennen, ist einfach absurd. Diese Passagen wird noch durch den Zusatz unterstrichen, das Konzil möchte „allen Katholiken die Mittel und Wege nennen und die Weise aufzeigen“ wie sie zu dieser Einheit gelangen können. Denn wenn die angestrebte Einheit die Einheit in der katholischen Kirche wäre, dann wäre es doch unsinnig, den Katholiken Mittel und Wege und die Weise aufzuzeigen, wie sie zu ihr gelangen können, weil sie doch schon in ihr sind. Alle diese Aussagen zeigen, daß das Konzil sich von der Rückkehr-Ökumene verabschiedet und eine andere Einheit aller Christen anstrebt als die Einheit in der katholischen Kirche.

Übrigens stellt der Anschluß an die Ökumenische Bewegung auch noch in einer anderen Hinsicht die Weichen in unserem Sinn. Uns geht es ja um die Hochschätzung der anderen christlichen Denominationen, damit wir schließlich die katholische Kirche an sie ankoppeln und mit ihnen kooperieren können. Während die Rückkehr-Ökumene ausschließlich personengebunden ist, ist es das Spezifikum der Koexistenz-Ökumene, daß sie primär auf die Religionsgemeinschaften der getrennten Brüder gerichtet ist und deshalb besiegelt der Anschluß an sie die Anerkennung derselben, was die Bahn für eine Kooperation mit ihnen frei macht.

Moderaturus (mit überlegenem Lächeln, denn er meint einen prinzipiellen Schwachpunkt in der Konzeption seines Freundes erkannt zu haben): Mit einer solchen Kooperation wird es wohl nichts werden. Zwar kannst du einerseits mit einer Anerkennung deiner Einigungsbestrebungen durch die Protestanten rechnen, andererseits werden sie aber Anstoß nehmen an deiner Elemente-Ekklesiologie, weil sie implizit bestreitet, daß sie gleichwertige Partner sind. Denn dieser Ekklesiologie zufolge besitzt die katholische Kirche die Heilsgüter vollständig, während die anderen christlichen Denominationen sie nur unvollständig besitzen, ganz zu schweigen von der angeblichen Herleitung der in ihrem Besitz befindlichen Heilsgüter von der katholischen Kirche. Das halten sie für eine Demütigung und werden sich deshalb der von dir angestrebten Kooperation verweigern. Insofern stellst du dir mit der Elemente-Ekklesiologie selbst ein Bein.

Revoluturus: Damit sprichst du ein schwieriges Problem an, das mich auch schon beschäftigt hat und für das ich dir meine Lösung vortragen möchte. Eine Kooperation mit den anderen christlichen Denominationen kann nur in einem zweistufigen Prozeß verwirklicht werden. Die erste Stufe bewältige ich mit der Elemente-Ekklesiologie. Diese ist unverzichtbar und wir verdanken ihr sehr viel, denn einerseits erfolgt die fundamentale Veränderung des Selbstverständnisses der Kirche auf ihrer Grundlage, was den Anschluß an die Ökumenische Bewegung vorbereitet, und andererseits gelangen wir durch sie zu unserer Lehre von den Gemeinsamkeiten mit diesen Gemeinschaften, welche die Grundlage für die Zusammenarbeit mit ihnen bildet. Um dann aber die Koexistenz-Ökumene verwirklichen zu können, muß ich, aus dem von dir genannten Grund, behutsam auf Distanz zur Elemente-Ekklesiologie gehen und die zweite Stufe der Annäherungsstrategie ins Auge fassen, die nicht nur auf eine Anerkennung aller christlicher Denominationen abzielt, sondern in diesen gleichwertige Ausprägungen des Christentums sieht.

Moderaturus (schüttelt den Kopf): Du glaubst doch wohl selbst nicht, daß du für diese Wahnidee, die eine Selbstverleugnung der katholischen Kirche bedeutet, eine Stimmenmehrheit erhalten kannst.

Revoluturus: Dein Einwand macht eine grundsätzliche Überlegung zu dem erforderlich, was wir auf dem Konzil erreichen können. Wie bereits angedeutet, können wir nicht alle unsere Ziele dort verwirklichen, bei einigen müssen wir uns damit begnügen, die Weichen in ihre Richtung zu stellen und einige Anstöße auf sie hin zu geben. Die Verwirklichung dieser Ziele müssen wir der nachkonziliaren Ära überlassen. Zu diesen Zielen zählt zweifellos die Anerkennung der anderen christlichen Religionen als mit der katholischen Kirche gleichwertige Ausprägungen des Christentums. Dieses Ziel ist unverzichtbar, wenn es zu einem herzlichen Einvernehmen zwischen unserer Kirche und den anderen christlichen Gemeinschaften kommen soll. Keine Religionsgemeinschaft darf sich über die andere erheben.

Moderaturus (ernst) Die katholische Kirche erhebt sich doch nicht aus sich heraus über die anderen Denominationen, sondern Christus hat sie hoch über sie alle erhoben.

Revoluturus (lenkt ab) Mag sein, aber laß uns nun über die Schritte sprechen, die zur Ankopplung an sie führen, und die im Zeichen der Preisgabe des Denkschemas vollständig-unvollständig stehen, das die Elemente-Ekklesiologie kennzeichnet.

Zuerst säge ich daran, daß die katholische Kirche alle Heilsgüter ungeschmälert besitzt, indem ich auf gewisse Defekte hinweise, die in ihrem Raum existieren. So wird es u.a.heißen: „Zugleich muß aber der katholische Glaube tiefer und richtiger ausgedrückt werden.“ Indem ich diese Defekte herausstelle, erreiche ich zweierlei, erstens setze ich dadurch die katholische Kirche weiter herab und verbessere so die Möglichkeit, jene Ankopplung zu verwirklichen und zweitens schaffe ich Raum für die Aussage, daß die anderen christlichen Denominationen unsere Kirche bereichern können, was ich aber nur andeutungsweise zum Ausdruck bringen kann. Die Defekte geben mir Anlaß eine Erneuerung zu fordern, die jedoch keine Erneuerung ist, die allein aus dem Raum der Kirche kommen soll, sondern die wesentlich aus der Belehrung durch die getrennten Brüder hervorgeht. Der Ort, an dem diese Erneuerung eingeleitet wird, ist der Dialog mit ihnen, von dem ich fordere, daß er auf der Ebene der Gleichheit stattfindet. Gegenseitige Bereicherung im Dialog, mein Freund, wird in nachkonziliarer Zeit die Zauberformel sein, die in aller Munde ist.

Moderaturus: Aber trotz deiner, die Fülle der katholischen Kirche untergrabenden Wühlarbeit, die du in der zweiten Stufe deiner Kooperationsbestrebungen verrichtest, steht doch immer noch die Säule des absoluten Wahrheitsanspruches unserer heiligen Kirche, und sie verhindert es, daß es zur Umarmung mit den anderen christlichen Denominationen kommt.

Revoluturus (ironisch): Aber diese Säule schwankt bereits und wird sogleich sogar stürzen, wenn ich dir den Hauptinhalt des ökumenischen Dialogs nenne, nämlich die Suche nach der Wahrheit.

Moderaturus: Die Rede von der Suche nach der Wahrheit untergräbt in der Tat den katholischen Wahrheitsanspruch, denn wenn nach der Wahrheit gesucht werden muß, dann ist sie ja noch nicht gefunden. Ganz anders verhält es sich mit der Suche in der Wahrheit, welche die Kirche allezeit durchgeführt hat. Sie besitzt ja das Glaubensganze im impliziten Glaubenswissen und expliziert es, unter der Leitung des Heiligen Geistes, im Laufe der Jahrhunderte immer mehr. Deine Lehre von der Suche nach der Wahrheit stürzt hingegen die Säule des katholischen Wahrheitsanspruches und erschüttert damit das traditionelle Selbstverständnis der Kirche in fundamentaler Weise. Dabei ist noch in der Schwebe, ob bei der Suche nach der Wahrheit der Glaubensbestand der katholischen Kirche unangetastet bleibt und es um eine wie immer geartete Vervollkommnung geht, oder ob das Glaubensgut selbst bei dieser Suche infrage gestellt wird.

Revoluturus: Welche Lesart gemeint ist, erkennst du an dem Kriterium, an dem sich entscheidet, ob die Vertreter der katholischen Kirche im ökumenischen Dialog wirklich dialogfähig sind oder nicht. Zweifellos stehen zahlreiche Dogmen der Kirche diesem Dialog im Wege, insbesondere die Mariendogmen. Also muß ich den mit diesen Dogmen verbundenen Wahrheitsanspruch unterminieren, um die Vertreter der Kirche dialogfähig zu machen, denn dieser Anspruch ist nun einmal ein Dialogkiller.

Parallel zu dieser Unterminierung muß ich, um die Gegner zu beschwichtigen, in emphatischer Weise Treue zur katholischen Lehre im Dialog fordern. Im Windschatten dieser Forderung kann ich dann diesen Wahrheitsanspruch indirekt attackieren und zwar zunächst mit folgender Aussage: „Die Art und Weise der Formulierung des katholischen Glaubens darf keinerlei Hindernis bilden für den Dialog mit den getrennten Brüdern.“

Moderaturus: Diese Forderung bezieht sich doch wohl nur auf die Form in welcher der ökumenische Dialog von dem Vertreter der katholischen Kirche zu führen ist.

Revoluturus (lächelt listig) : Es scheint nur so, denn diese könnten mit Engelszungen reden und würden doch zwangsläufig Anstoß erregen, wenn sie die Anerkennung aller Dogmen einfordern würden. Diese Rahmenbedingung enthält also die versteckte Empfehlung, die bei den getrennten Brüdern anstoßerregenden Glaubenslehren der katholischen Kirche im ökumenischen Dialog, sagen wir es diplomatisch, herunterzuspielen.

Moderaturus (ärgerlich): Nein, sagen wir es nicht diplomatisch, sondern sprechen wir Klartext, sie sollen jene Glaubenslehren im Dialog unter den Tisch fallen lassen. Du bist doch ein ausgemachtes Schlitzohr. Auf der einen Seite forderst du von ihnen Treue zum katholischen Glauben und auf der anderen Seite legst du ihnen nah, unpopuläre Glaubensinhalte auszuklammern. Damit treibst du die Vertreter der Kirche doch in die Schizophrenie.

Revoluturus (besänftigend): Zugegeben, das sind im Grunde widersprüchliche Rahmenbedingungen, auf die ich aber aus den genannten Gründen nicht verzichten kann. Wenn es zur Tat kommt, sprich zum Dialog, dann müssen sich jene Vertreter eben entscheiden, auf welche Seite sie sich schlagen wollen und welche es sein soll, können sie meinen versteckten Winken entnehmen. Ich werde ihnen übrigens noch einen weiteren Wink geben, der in nachkonziliarer Zeit großen Wirbel machen wird.

Moderaturus: Nämlich?

Revoluturus: Du sagtest soeben, daß die Forderung, den katholischen Glauben so darzustellen, daß er kein Hindernis im ökumenischen Dialog bildet, impliziere, daß gewisse, für die getrennten Brüder anstößige Glaubenslehren unter den Tisch fallen müßten. Das ist selbstverständlich katholischerseits ein Weg, um zu einem konfliktfreien Dialog zu gelangen, es gibt aber noch einen zweiten Weg, den ich in den folgenden Sätzen andeute: „Beim Vergleich der Lehren miteinander soll man nicht vergessen, daß es eine Rangfolge oder ‘Hierarchie’ der Wahrheiten innerhalb der katholischen Lehre gibt, je nach der verschiedenen Art ihres Zusammenhangs mit dem Fundament des christlichen Glaubens. So wird der Weg bereitet werden, auf dem alle in diesem brüderlichen Wettbewerb zur tieferen Erkenntnis und deutlicheren Darstellung der unerforschlichen Reichtümer Christi angeregt werden.“

Moderaturus: Hm, mir ist nicht bekannt, daß es eine solche Hierarchie aller Glaubenswahrheiten gibt, wenngleich natürlich gewisse Glaubenswahrheiten grundlegender sind als andere. Aber was haben diese Sätze mit dem konziliaren Ökumenismus zu tun?

Revoluturus: Die tieferen Erkenntnisse, die gewonnen werden sollen, sind Resultate des ökumenischen Dialogs, dessen Hauptaufgabe es ist, die Einheit in jener christlichen Überkirche herzustellen. Da die Rede von der Hierarchie der Wahrheiten offensichtlich ökumenische Relevanz haben soll, kann sie diese nur dadurch haben, daß sie die unüberbrückbaren Gegensätze zwischen den Lehren der christlichen Denominationen mildert oder gar aufhebt.

Moderaturus: Mir scheint, du willst aus unüberbrückbaren Gegensätzen überbrückbare machen, das aber käme der Quadratur des Kreises gleich.

Revoluturus: Mein Freund, bleiben wir einmal bei der katholischen Kirche. Das Anstößige an jenen Dogmen sind ja nicht deren Inhalte, sondern der Wahrheitsanspruch, der für sie erhoben wird. Würden sie im Sinne einer bloßen Überzeugung der katholischen Kirche, ohne Anspruch auf objektive Wahrheit vorgebracht, dann wären sie für die anderen Religionsgemeinschaften nicht anstößig. Die Rede von der Hierarchie der Wahrheiten legt nah, daß es wichtige und weniger wichtige Glaubenssätze gibt, und das soll im ökumenischen Dialog beachtet werden. Dies läuft auf eine Abwertung gewisser Glaubenslehren gegenüber anderen hinaus, und diese Abwertung betrifft entweder die betreffenden Glaubensaussagen als Ganze, im Extremfall läßt man sie unter den Tisch fallen, oder aber die Abwertung betrifft den Wahrheitsanspruch, der für sie erhoben wird, indem man die absolute Gültigkeit der betreffenden Glaubensaussagen in eine auf den Raum der katholische Kirche beschränkte Gültigkeit umwandelt.

Moderaturus: Das ist ja unglaublich, du raubst dem Glauben damit seine objektive Gültigkeit. Der Glaube, das solltest du wissen, ist ein unteilbares Ganzes und der Wahrheitsanspruch wird für dieses Ganze erhoben. Für alle Aspekte des Glaubens, die sich in den Glaubenssätzen ihren Ausdruck finden, gilt somit genau derselbe Wahrheitsanspruch, der für das Ganze erhoben wird, denn indem er für das Ganze erhoben wird, wird er zugleich für alle seine Aspekte erhoben.

Revoluturus (triumphierend): Diesem Argument ist aber mit der Elemente-Ekklesiologie der Boden entzogen. Denn indem diese die Glaubenswahrheiten vom Glaubensganzen löst, löst sie diese zugleich von dem absoluten Geltungsanspruch, der mit dem Glaubensganzen verbunden ist! Dadurch wird die Möglichkeit geschaffen, Verbindlichkeitsgrade einzuführen. Die Zerlegung des Glaubensganzen in Teile, was die Umdeutung einer Qualität in eine Quantität bewirkt, eröffnet die Möglichkeit zu einer Quantifizierung auf der Geltungsebene! Für den ökumenischen Dialog bedeutet das, daß der Vertreter der katholischen Kirche im ökumenischen Dialog das Konfliktpotential, das er einbringt, dadurch beseitigen kann, daß er alle Glaubenssätze der Kirche in zwei Klassen einteilt und für die Glaubensinhalte der ersten Klasse absolute Gültigkeit fordert, während er für die Glaubenssätze der zweiten Klasse die objektive Gültigkeit preisgibt und sie als bloß subjektive Glaubensüberzeugungen der Katholiken ausgibt, sozusagen als „Sondergut“ des katholischen Glaubens, wie man es in nachkonziliarer Zeit nennen wird. In der ersten Klasse sind dabei diejenigen Glaubenssätze enthalten, die alle christlichen Denominationen bejahen und zur zweiten Klasse gehören diejenigen Glaubenssätze, denen mindestens eine der anderen Gemeinschaften widerspricht. Die Mentalität, die für einen Teil der Glaubensaussagen den Anspruch auf objektive Gültigkeit preisgibt und ihn durch eine auf den Raum der katholischen Kirche beschränkte Gültigkeit ersetzt, nenne ich Standpunktsmentalität. Du wirst mir zugeben, daß die Standpunktsmentalität, wenn die Vertreter der anderen Denominationen sie sich ebenfalls zu eigen machen, zu einem konfliktfreien Dialog führen kann.

Moderaturus (wütend): Aber um den Preis des Glaubensverrats, du machst ja die „anstößigen“ Glaubenswahrheiten zur bloßen Ansichtssache! (Versucht sich zu fassen) Übrigens stützt du dich bei deiner Aufsplittung des Glaubensgutes wieder auf deine Elemente-Ekklesiologie. Du hast sie also gar nicht endgültig abserviert, sondern ziehst sie immer dann heran, wenn sie dir in den Kram paßt.

Revoluturus (ironisch) Man muß eben flexibel sein. Jedenfalls garantiert die Standpunktsmentalität, wenn sie die getrennten Brüder ebenfalls praktizieren, ein konfliktfreies dialogisieren, so daß die Vertreter aller christlicher Denominationen gemeinsam auf die Suche nach der Einheit in der christlichen Überkirche gehen können. Übrigens werde ich mich hüten, einen Weg zu dieser Einheit zu weisen. Wie immer er aussehen würde, die Konservativen würden rufen: Glaubensverrat ...

Moderaturus: ... und hätten recht damit. Abgesehen davon, treibst du auch mit deiner Standpunktsmentalität die Vertreter der katholischen Kirche in die Schizophrenie, denn sie widerspricht ja der geforderten Treue zum Glauben.

Revoluturus (gelassen): Das soll nicht meine Sorge sein, wenn unsere Vertreter immer noch nicht wissen, auf welche Seite sie sich schlagen sollen, obwohl meine Winke deutlich genug sind, dann kann ich ihnen auch nicht helfen. Es kann ihnen doch wohl nicht entgangen sein, daß künftig nicht mehr die Wahrheit der höchste Wert in der Kirche ist, sondern die Einheit. Übrigens werde ich anschließend die Elemente-Theorie von der Glaubenswahrheit auf die nichtchristlichen Religionsgemeinschaften ausdehnen und auf ihrer Grundlage zu erstaunlichen Gemeinsamkeiten mit ihnen gelangen, welche ihrerseits die Grundlage für ein gutes Einvernehmen mit ihnen bilden. Den ökumenischen Dialog erweitere ich so zum interreligiösen Dialog, der alle Religionen einander näher bringt, ...

Moderaturus (gequält): Erspare mir bitte weitere Darlegungen. Dein Vernichtungsfeldzug gegen unseren Glauben hat mich aufgewühlt und in zunehmendem Maße belastet. Laß uns lieber noch ein wenig über das Verhältnis von Kirche und Welt sprechen.

Revoluturus (befürchtet erneut, daß sein Freund der Revolution den Rücken kehrt und fährt in versöhnlichem Ton fort) Zuvor wollen wir uns aber an diesem erlesenen Assmannshäuser Höllenberg laben, du weißt doch, der Wein erfreut des Menschen Herz.

Moderaturus: Bei dieser Aussage der Hl. Schrift kann ich wenigstens sicher sein, daß sie nicht deinem Vernichtungsfeldzug zum Opfer fällt. Doch nun eröffne mir, wie du das Verhältnis von Kirche und Welt verändern willst.

Revoluturus: Die Generallinie lautet, Ankopplung der Kirche an die Welt, so wie sie bisher Ankopplung der Kirche an die anderen Religionsgemeinschaften lautete. Wir werden der Welt gegenüber einen völlig anderen Ton anschlagen, wobei die Devise heißt, Dialog und Kooperation statt Konfrontation im Sinne des Aufrufs zur Bekehrung, womit wir ihres Beifalls sicher sein können. Endlich werden wir uns den Wunschtraum erfüllen, von der Welt akzeptiert zu werden.

Moderaturus: Leider spricht die Hl. Schrift eine andere Sprache. Darf ich dich an die folgenden Stellen erinnern, die leicht vermehrt werden könnten: „Ein reiner und makelloser Dienst vor Gott besteht darin, sich vor jeder Befleckung durch die Welt zu bewahren" (Jak 1, 27). „Ihr Ehebrecher, wißt ihr nicht, daß Freundschaft mit der Welt Feindschaft mit Gott ist. Wer also ein Freund der Welt sein will, der wird zum Feind Gottes" (Jak 4, 4).

Revoluturus (unbeeindruckt): Die von uns angestrebte Freundschaft mit der Welt hat eben ihren Preis, sie ist nicht zum Nulltarif zu haben. Es geht darum, den unversöhnlichen Gegensatz zwischen Kirche und Welt aufzuheben, der aus den Zitaten spricht, die du soeben erwähntest.

Moderaturus (erschrocken): Du willst dich doch nicht etwa frontal gegen die Hl. Schrift stellen?

Revoluturus: Im Konzilstext muß ich selbstverständlich Vorsicht walten lassen und wieder einmal zweigleisig fahren, indem ich einerseits solchen Stellen meine Referenz erweise, die von einer Angleichung an die Welt warnen, damit ich mit anderen Passagen die Gegenposition einbringen kann.

Moderaturus: Jetzt geht es ja schon wieder los mit den unlauteren Methoden ...

Revoluturus: ... und der Erkenntnis des Octavio: „Es ist nicht immer möglich, im Leben sich so kinderrein zu halten, wie’s uns die Stimme lehrt im Innersten.“ Wir müssen auch auf diesem Feld, sagen wir es diplomatisch, eine gewisse Robustheit entwickeln, um unser Ziel erreichen zu können.

Moderaturus: Aha, so heißt das neuerdings, Robustheit, wenn es darum geht, Widersprüchliches zu lehren, und den Widerspruch zu kaschieren bzw. zu beschönigen.

Revoluturus: So kommen wir nicht weiter. Wir sollten uns lieber fragen, wie wir konkret die anthropozentrische Wende vollziehen wollen, von der wir eingangs sprachen.

Moderaturus: Nun gut, ich denke, du hast auch da schon detaillierte Vorstellungen entwickelt; lasse sie mich wissen.

Revoluturus: Die Abwertungsschritte, die wir bezüglich unserer Kirche vollzogen haben, bringen uns nicht nur den anderen Denominationen, sondern auch der Welt nahe. Wir ernten jetzt auch im Hinblick auf das Verhältnis von Kirche und Welt die Früchte von dem, was wir mit der Veränderung des Selbstverständnisses der Kirche gesät haben, denn das veränderte Selbstverständnis macht einen anderen Umgang mit der Welt erforderlich. Auf der Basis dieses neuen Selbstverständnisses werden wir unsere Solidarität mit der Welt bekunden; übrigens ist Solidarität auch einer der Begriffe, der in nachkonziliarer Zeit in aller Munde sein wird.

Im Sinne der von uns angestrebten anthropozentrischen Wende wird man im Konzilstext lesen: „Es ist fast einmütige Auffassung der Gläubigen und der Nichtgläubigen, daß alles auf Erden auf den Menschen als seinen Mittel- und Höhepunkt hingeordnet ist."

Moderaturus: Damit erweckst du den Eindruck, daß die Sorge um den Menschen ein gemeinsames Fundament bei Atheisten und Christen hat, was nicht der Fall ist. Außerdem ist für die Kirche überall Christus der Mittel- und Höhepunkt, auf den alles hingeordnet ist.

Revoluturus: Deshalb konnte es ja im Rahmen dieser Theozentrik zwar eine Zusammenarbeit auf humanitärem Gebiet, aber keine Solidarität mit den Nichtgläubigen geben, die wir verwirklichen wollen. Voraussetzung aber dafür ist, daß wir den Menschen in den Mittelpunkt unserer Bestrebungen stellen, wie es die Nichtgläubigen tun.

Moderaturus: Also ist diese Solidarität nur um den Preis der Selbstverleugnung der Kirche zu haben?

Revoluturus: Wenn du es so nennen willst, jedenfalls werden wir den Schwerpunkt vom Jenseits ins Dieseits verlagern. Bischöfe und Priester werden in nachkonziliarer Zeit oft mehr über Frieden, Politik und Wirtschaft sprechen als über den Glauben. Im Zeichen der angestrebten Solidarität wird das Konzilsdokument, das sich mit dem Verhältnis von Kirche und Welt befaßt, mit den programmatischen Worten beginnen: „Freude und Hoffnung, Trauer und Angst der Menschen von heute, besonders der Armen und Bedrängten aller Art, sind auch Freude und Hoffnung, Trauer und Angst der Jünger Christi."

Moderaturus: Bisher lehrte die Kirche, daß Freude und Hoffnung der Menschen, die auf innerweltliche Genußentfaltung, Machtentfaltung, Geltungs- und Besitzentfaltung zielt, nicht Freude und Hoffnung der Jünger Christi sind. Freude und Hoffnung, Trauer und Angst der Menschen waren für die Kirche immer ein Feld, das sie zu bearbeiten hatte, und sie setzt dieser Trauer und Angst die Freude entgegen, welche die Verkündigung der Frohen Botschaft ihnen schenkt mit dem Ziel, die Herzen dort zu verankern, wo die wahren Freuden sind.

Revoluturus: Treffend beschreibst du die Kehrtwende, die wir vollziehen werden. (Während er diesen Satz ausspricht wird ihm klar, daß das ‘wir’ nicht mehr zu halten ist, weil sein Freund längst nicht mehr auf seiner Linie liegt; um zu vermeiden, daß ihm dieser diesen Tatbestand vorhält, fährt er in der Ichform fort) Übrigens werde ich im Konzilstext auch bezüglich des Verhältnisses von Kirche und Welt eine gemeinsame Suche nach der Wahrheit festschreiben und sagen: „Durch die Treue zum Gewissen sind die Christen mit den übrigen Menschen verbunden im Suchen nach der Wahrheit und zur wahrheitsgemäßen Lösung all der vielen moralischen Probleme, die im Leben der Einzelnen wie im gesellschaftlichen Zusammenleben entstehen.“

Moderaturus: Die antikatholische Position, die eine Suche nach der Wahrheit behauptet, brauchen wir nicht erneut zu erörtern. Jedenfalls kann dann die katholische Kirche auch im weltlichen Bereich nicht mehr den Ausschlag geben, sondern was sie zu sagen hat, wird zu einem Beitrag unter anderen degradiert.

Revoluturus: Mein Freund, wer den Anspruch erhebt, den Ausschlag zu geben, der kann weder mit der Welt, noch mit den anderen Religionen Freundschaft schließen, deshalb ist es wichtig, daß die katholische Kirche auf beiden Feldern die Kehrtwende vom Ausschlag zum Beitrag vollzieht. In diesem Sinne äußere ich mich mit Bezug auf die Seelsorger, Ordensleute und Gläubige folgendermaßen: „Durch beharrliches Studium sollen sie sich fähig machen, zum Dialog mit der Welt und mit Menschen jedweder Weltanschauung ihren Beitrag zu leisten."

Moderaturus: So machst du aus der Braut Christi, die mit unbedingtem Wahrheitsanspruch der Welt entgegentritt, eine Magd, die Hilfsdienste für innerirdisches Wohlergehen leistet.

Revoluturus (süffisant): Das mit dem absoluten Wahrheitsanspruch ist vorkonziliar gedacht, und ich rate dir, nach dem Konzil so etwas nicht mehr zu äußern, denn vorkonziliares Denken wird dann das Schimpfwort schlechthin sein. Du scheinst übrigens noch immer nach dem Prinzip verfahren zu wollen, „wasch mir den Pelz, aber mach mich nicht naß.“ Du solltest dir endlich darüber klar werden, welcher Preis für die Freundschaft mit der Welt und den anderen Religionen zu zahlen ist.

Moderaturus (bedrückt): Da muß ich dir recht geben, auch hier bewahrheitet sich das Wort der Hl. Schrift „Niemand kann zwei Herren dienen.“ Ein Revolutiönchen wie es mir vorschwebte, das sehe ich jetzt klar, ist nicht möglich. Entweder es findet eine Revolution statt, oder es findet keine Revolution statt, tertium non datur. Der Preis für diese Freundschaften ist hoch, viel höher als ich dachte, ja mir scheint jetzt, er ist unverantwortlich hoch.

Revoluturus (ignoriert bewußt die Bedenken seines Freundes): Ich bin noch nicht zu Ende mit meinen Ausführungen. Es gibt da noch eine harte Nuß zu knacken, nämlich die überlieferte Lehre der Kirche über die Religionsfreiheit. Diese Lehre steht der von uns angestrebten Doppelfreundschaft im Wege, der Freundschaft mit der Welt, weil sie direkt gegen die Religionsfreiheit gerichtet ist, welche in den Verfassungen der modernen Staaten steht, und sie steht der Freundschaft mit den anderen Religionen im Wege, weil wir zu ihnen kein gutes Verhältnis haben können, solange wir ihnen zugleich, im Sinne der traditionellen Lehre sagen, daß sie als irrtumsbehaftete Religionssysteme kein Recht auf Existenz haben und deshalb lediglich Duldung vonseiten der katholischen Kirche erfahren können.

Moderaturus: Aber diese Lehre, mit der ich mich ausführlich beschäftigt habe, kann doch nicht aufgegeben werden. Lasse mich ein wenig ausholen, um sie zu begründen. Wie du weißt, werden die Menschenrechte, zu denen auch die Religionsfreiheit in den liberalen Verfassungen der modernen Staaten zählt, mit der Menschenwürde begründet. Religionsfreiheit heißt dabei, daß jeder Mensch das Recht hat, die Religion zu wählen, die ihm zusagt, und er hat ebenso das Recht, sie im Rahmen der öffentlichen Ordnung auszuüben. Eigentlich ist die Rede von der Begründung der Menschenrechte mit der Menschenwürde nicht korrekt, denn die Menschenwürde ist im Rahmen der liberalen Verfassungen ein Grundbegriff, der inhaltlich nicht bestimmt ist, sondern als ein unbefragtes Basisfaktum ausgegeben wird. Da er unbestimmt bleibt, kann man im Rahmen dieser Verfassungen auch nicht entscheiden, ob, wie behauptet, die Menschenrechte, die sie anführen, wirklich aus der Menschenwürde folgen oder nicht.

Im Raum der Kirche ist hingegen die Menschenwürde keineswegs ein nicht weiter zurückführbares Basisfaktum, sondern sie ist in der Gottebenbildlichkeit des Menschen begründet und in dem Anruf Gottes an ihn, Seinen Willen zu erfüllen. Diese Zurückführung ist außerordentlich folgenreich. Durch sie verliert nämlich die Menschenwürde zunächst einmal den Charakter eines bloßen Faktums und steht nun im Zeichen der Pflicht des Geschöpfes seinem Schöpfer gegenüber, Ihn zu ehren und Seine Gebote zu halten. Die Menschenwürde kann nur durch ihre Rückbindung an Gott einsichtig gemacht werden.

Da die Menschenwürde im Sinne der Kirche im Zeichen des Sollens steht, nämlich der Pflichterfüllung Gott gegenüber, bestimmt dieses Sollen zugleich die Menschenrechte, die aus dieser Würde abgeleitet werden können. Nun wird überhaupt erst überprüfbar, ob ein angebliches Menschenrecht in Wahrheit ein Menschenrecht ist oder nicht. Das entscheidet sich nämlich an der Frage, ob es mit der Erfüllung der Pflicht des Menschen Gott gegenüber vereinbar, ob es für sie notwendig bzw. förderlich ist oder nicht.

Nun kommt es entscheidend darauf an einzusehen, daß Gott nur das Recht zur Wahl der wahren Religion gewährt, weil das in Seinem ersten Gebot eingeschlossen ist, das zugleich einschlußweise die Wahl einer falschen Religion verurteilt. Hätte Gott dem Menschen das Recht gegeben, eine falsche Religion zu wählen, dann hätte Er ihm das Recht gegeben, sich gegen Seinen Willen zu entscheiden und damit hätte Er dem Menschen das Recht gegeben zu sündigen, was natürlich absurd ist. Wohl hat Er dem Menschen die Freiheit gegeben eine Religion zu wählen, ein Recht gibt es aber nach dem Willen Gottes nur für die Wahl der wahren Religion. Es gibt also weder ein Recht, sich der wahren Religion zu verweigern, noch ein Recht, sich für eine falsche Religion zu entscheiden und da es ein solches Recht nicht gibt, kann es auch nicht in der Menschenwürde begründet sein!

Bezüglich der falschen Religionen ist das öffentliche Bekenntnis ebenso wie die Ausübung derselben gegen den Willen Gottes gerichtet. Beides geht unmittelbar aus dem ersten Gebot hervorgeht: „Ich bin der Herr, dein Gott - Du sollst keinen anderen Gott neben mir haben.“ Aber Gott verhindert im allgemeinen weder das Bekenntnis noch die Ausübung einer falschen Religion, Er duldet vielmehr diese Übel, abgesehen von außergewöhnlichen Eingriffen durch Ihn. Und da Christus für die Kirche in allem Vorbild ist, also auch darin, daß Er das Übel in der Welt duldet, wozu gehört, daß sich viele Menschen von Seiner Kirche abwenden und sich entweder gar keiner oder einer falschen Religion zuwenden, deshalb verbindet die Kirche ihre Intoleranz in dogmatischer Hinsicht mit einer Toleranz in praktischer Hinsicht, indem sie es akzeptiert, daß der Staat die öffentliche Ausübung falscher Religionen in gewissem Umfang duldet.

Revoluturus: Ja, das ist die berühmte Toleranzlehre der Kirche, Toleranz im Sinne der Duldung eines Übels, mit der sie sich den Haß der Welt und der anderen Religionsgemeinschaften zugezogen hat. (Versucht es erneut mit dem ‘Wir-Stil’, um die Gefolgschaft seines Gesprächspartners zurückzugewinnen) Sie kommt für uns natürlich nicht mehr in Frage, denn nachdem wir die anderen Religionen so enorm aufgewertet haben, können wir ihre Ausübung doch nicht mehr unter die Kategorie „Duldung eines Übels“ fallen lassen. Wir müssen also von dieser überlieferten Lehre loskommen.

Moderaturus (bemerkt zwar die Umarmungsstrategie seines Freundes, reagiert aber nicht darauf): Das wird dir schwerlich gelingen, denn seit der Französischen Revolution, welche das Recht auf Religionsfreiheit als Menschenrecht proklamierte, hat sich das kirchliche Lehramt in einer ganzen Reihe von Enzykliken mit aller Schärfe gegen dieses Recht gewandt, und diese Enzykliken sind den Konzilsvätern gegenwärtig.

Revoluturus: Selbstverständlich kann ich nicht direkt gegen diese Enzykliken vorgehen, über die ich mich oft geärgert habe, ich muß vielmehr noch einmal alle Register der Formulierungskunst ziehen. Du hast übrigens sehr klar den Unterschied zwischen der Religionsfreiheit der modernen Staaten und der diesbezüglichen Lehre der Kirche dargestellt und mir damit zugleich den Weg gewiesen, wie ich vorgehen muß. Wenn ich schließlich zur Religionsfreiheit im Sinne dieser Staaten gelangen will, dann muß ich die neue Lehre der Kirche über die Religionsfreiheit, die ich durchsetzen werde, unabhängig von den Gottesrechten entwickeln.

Moderaturus: Diesem Vorhaben hat aber, wie gesagt, das kirchliche Lehramt einen Riegel vorgeschoben ...

Revoluturus: ... also muß ich auf eine Methode der Entriegelung sinnen und diese will ich dir jetzt darlegen. Dabei kommt mir eine Stelle in der Enzyklika Pacem in terris, von Johannes XXIII., sehr gelegen, mit der er der Lehre seiner Vorgänger mit folgenden Worten widerspricht: „Zu den Rechten des Menschen ist auch dies zu zählen, daß er sowohl Gott nach der rechten Norm seines Gewissens verehren als auch seine Religion privat und öffentlich bekennen kann.“ Diese Aussage schwächt zwar enorm die Position meiner Gegner, reicht aber natürlich nicht aus, um die Bahn für die neue Lehre frei zu machen. Im nächsten Schritt verabreiche ich ihnen aus taktischen Gründen eine Beruhigungspille, indem ich im Vorwort zu der Erklärung über die Religionsfreiheit behaupte, daß die dann folgende konziliare Lehre „die überlieferte katholische Lehre von der moralischen Pflicht der Menschen und der Gesellschaften gegenüber der wahren Religion und der einzigen Kirche Christi unangetastet“ läßt.

Moderaturus: Das ist aber doch, nach deiner Absicht zu urteilen, gar nicht wahr.

Revoluturus (unbeeindruckt) : Ich muß hier, wie gesagt, alle Register ziehen und darf mich nicht von moralischen Rücksichten lähmen lassen, sonst kann der beabsichtigte Coup nicht gelingen, eine Lehre über die Religionsfreiheit einzuführen, die mit dem neuen Selbstverständnis der Kirche übereinstimmt, die den Beifall der Welt findet und die mit der Koexistenz-Ökumene harmoniert. Ich will dir nun die Strategie meines Vorgehens zunächst mit wenigen Worten umreißen und anschließend ins Detail gehen:

Ich werde lang und breit von den Rechten der Person sprechen und dabei versichern, daß die überlieferte Lehre von diesen Ausführungen unangetastet bleibt. Indem ich auf diese Weise die Gottesrechte wegblende, blende ich auch den Maßstab aus, den die Gottesrechte für die Menschenrechte setzen, wodurch ich die Öffnung des Konzils für die von den Gottesrechten entkoppelten Menschenrechte, im Sinne des liberalen Staates, ermögliche.

Dann stelle ich die Freiheit von Zwang in religiösen Dingen in den Mittelpunkt der Erörterung. Zwang, mein Freund, ist heutzutage einer der bestgehaßten Begriffe, und die Aura dieses Begriffs mache ich mir zunutze, um den mir unliebsamen Teil der kirchlichen Lehre über die Religionsfreiheit zu kippen. Mit unschuldiger Miene werde ich ausführen: „Das Vatikanische Konzil erklärt, daß die menschliche Person das Recht auf religiöse Freiheit hat. Diese Freiheit besteht darin, daß alle Menschen frei sein müssen von jedem Zwang sowohl von seiten Einzelner wie gesellschaftlicher Gruppen, wie jeglicher menschlicher Gewalt, so daß in religiösen Dingen niemand gezwungen wird, gegen sein Gewissen zu handeln, noch daran gehindert wird, privat und öffentlich, als einzelner oder in Verbindung mit anderen innerhalb der gebührenden Grenzen nach seinem Gewissen zu handeln.“

Moderaturus: Dabei vermischst du ja Wahres mit Falschem. Wahr ist, daß der Mensch in religiösen Dingen ein Recht hat, nicht gezwungen zu werden gegen sein Gewissen zu handeln, was das traditionelle kirchliche Lehramt dem Menschen ausdrücklich zuerkennt und begründet. Falsch aber ist und gegen die überlieferte Lehre gerichtet, daß der Mensch unabhängig davon, ob er sich für die wahre Religion oder eine falsche Religion entscheidet, das Recht hat, ungehindert gemäß seinem Gewissen zu handeln.

Revoluturus: Diese Vermischung ist gerade meine Absicht, wie überhaupt das Vermischen von Ebenen eine meiner erfolgreichsten Methoden sein wird, (ironisch) du hast sie mir ja auch schon mehrmals angekreidet, mein lieber Beckmesser. Hier ziehe ich ein Recht auf Wahl und Ausübung einer falschen Religion, sozusagen im Windschatten der Freiheit zu dieser Wahl, über die Bühne.

Moderaturus: Wieder einmal scheinst du deine Gegner zu unterschätzen. Glaubst du denn, sie würden diesen Trick nicht durchschauen und sich auf Pius XII. berufend gegen dich argumentieren: „Was nicht der Wahrheit und dem Sittengesetz entspricht, hat objektiv kein Recht auf Dasein, Propaganda und Aktion“?

Revoluturus: Ich bin mir bewußt, daß um die Religionsfreiheit der heißeste Kampf auf dem Konzil entbrennen wird. Unsere Gegner kennen die traditionelle Lehre genau und Kardinal Ottaviani ist auch noch Spezialist für das Öffentliche Recht der Kirche. Wenn ich an ihn denke und an seine Parteigänger, z.B. die Kardinäle Brown und Ruffini sowie an Erzbischof Lefebvre, diese Inkarnationen der Rechtgläubigkeit, dann weiß ich, was mir bevorsteht. Aber in diesem Punkt laufen sie mir ins offene Messer, denn ich werde sie mit einem philosophischen Argument überraschen und überrumpeln. Ich behaupte gegen jenen Satz schlankweg, daß nur Personen Träger von Rechten sein können und daß hinter jenem Satz von Pius XII. aus seiner Ansprache Ci riesce eine falsche Auffassung von der Wahrheit stehe, die statisch und abstrakt sei. Rechte gäbe es, so werde ich sagen, nur im zwischenmenschlichen Bereich.

Moderaturus: Du tust ja so, als ob die Wahrheit eine Sache wäre. Wenn sie es wäre, dann könnte sie allerdings nicht Träger von Rechten sein, weil das nur Personen zukommt. Aber die Wahrheit hat keinen sachhaften Charakter. Christus straft die gegenteilige Behauptung Lügen, sagt Er doch von Sich selbst: „Ich bin der Weg und die Wahrheit und das Leben." Die Wahrheit ist folglich selbst Person.

Revoluturus: Ich kann nur hoffen, daß meine Gegner nicht auf der philosophisch-theologischen Ebene argumentieren werden, sonst käme ich allerdings in Argumentationsnot. Was übrigens meine Begründung für die Forderung nach Freiheit von Zwang der genannten zweifachen Art in religiösen Dingen betrifft, stütze ich mich nach dem Vorbild der liberalen Verfassungen auf die Menschenwürde und sage: „Ferner erklärt das Konzil, das Recht auf religiöse Freiheit sei in Wahrheit auf die Würde der menschlichen Person selbst gegründet.“

Moderaturus: Deine Auffassung von Religionsfreiheit, welche auch diejenige der liberalen Staaten ist, folgt aber gar nicht aus der Menschenwürde. Denn die Menschenwürde besteht wesentlich darin, daß der Mensch als Ebenbild Gottes von Ihm geschaffen wurde, und er deshalb die Pflicht hat, Gott zu verehren und folglich auch Seine Rechte zu wahren, wogegen deine Religionsfreiheit, wie ich soeben zeigte, gegen die Rechte Gottes gerichtet ist.

Revolutorus: Deshalb habe ich ja durch die genannte Einschränkung der Thematik die Gottesrechte ausgeklammert. Schließlich behaupte ich sogar noch, daß dieses Menschenrecht in der Offenbarung begründet ist ...

Moderaturus: ... was auch nicht der Wahrheit entspricht ...

Revoluturus: ... aber eine mir willkommene Stütze für die neue Lehre ist, auf die ich nicht verzichten kann.

Moderaturus: Dennoch hast du dein Ziel damit noch nicht erreicht, denn du willst diese Religionsfreiheit ja nicht nur für Personen, sondern auch für Religionsgemeinschaften festschreiben, denn zu diesen soll doch ein gutes Verhältnis angestrebt werden.

Revoluturus: Du hast recht, diese Hürde muß ich noch überwinden und habe dafür auch schon eine geeignete Strategie entwickelt. Ich werde nämlich von der Personenebene zur Ebene der Religionsgemeinschaften hinübergleiten, indem ich sage: „Die Sozialnatur des Menschen erfordert aber, daß der Mensch innere Akte der Religion nach außen zum Ausdruck bringt, mit anderen in religiösen Dingen in Gemeinschaft steht und seine Religion gemeinschaftlich bekennt. Die Freiheit als Freisein vom Zwang in religiösen Dingen, die den Einzelnen zukommt, muß ihnen auch zuerkannt werden, wenn sie in Gemeinschaft handeln. Denn die Sozialnatur des Menschen wie auch der Religion selbst verlangt religiöse Gemeinschaften.“ Auf diese Weise übertrage ich das vorher den Anhängern der Religionen zuerkannte Recht auf öffentliche Ausübung ihrer Religionen auf deren Religionsgemeinschaften.

Moderaturus: Diese These ist anfechtbar, denn vom inneren religiösen Akt zu seinem Ausdruck im Äußeren kommt es nicht durch ein Erfordernis der Sozialnatur des Menschen, sondern durch einen Akt seines freien Willens! Diesen Akt unterschlägst du bzw. ersetzt ihn durch ein angebliches Erfordernis der menschlichen Natur. Aus der Tatsache, daß viele Menschen ihren inneren religiösen Akten nach außen hin Ausdruck verleihen wollen, bzw. sich zu Religionsgemeinschaften zusammenschließen wollen, kann man keine Naturgegebenheit konstruieren.

Revoluturus: So zu argumentieren ist nicht der Stil meiner Gegner. Hier baue ich auf die Suggestivkraft des Begriffs Sozialnatur, und du wirst sehen, daß ich dabei auf keinen großen Widerstand stoßen werde.

Moderaturus: Dann gelangst du ja tatsächlich zu der Art von Religionsfreiheit, welche die Verfassungen der modernen, liberalen Staaten enthalten.

Revoluturus: Genau das war mein Ziel, und ich scheue mich nicht, dieser Übereinstimmung im Konzilstext Ausdruck zu verleihen, und zwar mit den Worten: „Bekanntlich ist die Religionsfreiheit, auch in den meisten Verfassungen schon zum bürgerlichen Recht erklärt, und sie wird in internationalen Dokumenten feierlich erklärt.“

Moderaturus: Dann legt also das Konzil die Grundlage dafür, die katholische Religion als Staatsreligion abzuschaffen. Bist du dir denn im klaren darüber, daß das Konzil sich dadurch dem Herrschaftsanspruch unseres Herrn über die Gesellschaft widersetzt, zu dem sich die Kirche durch alle christlichen Jahrhunderte bekannt hat und dem sie in der Oration des Christkönigsfestes mit den Worten Ausdruck verleiht: „Allmächtiger ewiger Gott, Du hast in Deinem geliebten Sohne, dem König des Weltalls, alles erneuern wollen; so gib denn gnädig, daß alle Völker, die durch das Unheil der Sünde entzweit sind, sich Seiner so milden Herrschaft unterwerfen.“ Wenn das wirklich beschlossen wird, was du willst, dann versündigt sich das Konzil an Christus.

Revoluturus: Versündigen hin, versündigen her, jedenfalls kann es keine Freundschaft mit der Welt geben, wenn die Kirche diesen Herrschaftsanspruch Christi aufrecht erhält. Und da wir diese Freundschaft gewinnen wollen, müssen wir eben diesen Herrschaftsanspruch Christi aufgeben, und ich sage dir voraus: Alle Staaten der Welt, in denen die katholische Religion Staatsreligion ist, werden auf Veranlassung der Vertreter der Kirche in nachkonziliarer Zeit ihre Verfassungen ändern, so daß fortan die katholische Religion in keinem Staat mehr Staatsreligion ist.

Moderaturus: Damit ist offenkundig, daß das Konzil ein Recht auf Religionsfreiheit in der katholischen Kirche einführen wird, das in zentralen Punkten gegen die Gottesrechte verstößt ...

Revoluturus: ... und es wird dir deshalb wie ein Hohn klingen, wenn du im Anschluß an die Erklärung lesen wirst, daß der Papst die Veröffentlichung dieser Declaratio zur Ehre Gottes gebietet.

Moderaturus: Das schlägt in der Tat dem Faß den Boden aus. Mein Freund, dein groß angelegter Plan ist wohldurchdacht, er zeugt von großem Scharfsinn und alle Schritte zu seiner Verwirklichung greifen folgerichtig ineinander. Leider aber wird die Umsetzung dieses Planes, wenn du ihn denn durchsetzen kannst, unserer Kirche unermeßlichen Schaden zufügen. Ich habe deshalb ernsthafte Zweifel, ob ich dieses Unternehmen noch mittragen kann.

Revoluturus (versucht seinen Freund mit Spott für die Revolution zurückzugewinnen):

„Der angebornen Farbe der Entschließung
Wird des Gedankens Blässe angekränkelt;
Und Unternehmungen voll Mark und Nachdruck,
Durch diese Rücksicht aus der Bahn gelenkt,
Verlieren so der Handlung Namen.“*

Moderaturus (bitter): Spotte nur mit deinen Hamlet-Kenntnissen über mich. Wenn ich einmal vor meinem ewigen Richter stehe, dann hilfst du mir nicht. Übrigens bin ich überzeugt, daß du keine Chance hättest für deinen Plan die erforderliche Mehrheit der Stimmen zu gewinnen, wenn die Konzilsväter von vornherein deine Absichten durchschauen könnten. So aber tritt das Antikatholische in den Texten verstreut auf, in diplomatischen Formulierungen, von denen du mir ja einige Kostproben gegeben hast und eingebettet in tausend Richtigkeiten, so daß es für einen Uneingeweihten fast unmöglich ist zu erkennen, worauf das Ganze hinausläuft; deshalb hast du gute Aussichten, deine Ziele erreichen zu können. Nicht nur die katholische Lehre wird dabei Zug um Zug verändert, sondern auch viele Konzilsväter werden das Konzil mit einem anderen Glauben verlassen als sie ihn beim Eintritt in dasselbe hatten.** -

Revoluturus: Ich bin noch nicht zu Ende mit der Erläuterung meines Schlachtplans. Laß uns abschließend noch über die Liturgiekonstitution sprechen, mit der ich einen Rahmen schaffen will, der in nachkonziliarer Zeit durch eine Liturgiereform so ausgefüllt werden wird, daß man in der neuen Messe die überlieferte Messe kaum mehr wiederzuerkennen vermag.

Moderaturus (möchte das Gespräch beenden): Dazu bedarf es keiner großen Ausführungen mehr, denn du hast mir ja schon zu Beginn unseres Gespräches dargelegt, daß du eine „volksnahe“ Liturgie anstrebst, bei der die Laien eine Mitträgerschaft erhalten. Du willst den Rahmen für eine „verständliche“ Liturgie schaffen, die ihrer Fassungskraft angepaßt ist, die sich von der bisherigen darüber hinaus durch Kürzungen und Vereinfachungen unterscheidet. Gemeinschaftliches Handeln von Priester und Laien soll dabei Trumpf sein. Diese Ziele kann ich ja noch mittragen und bin bereit, als Preis dafür sogar eine gewisse Entsakralisierung der Liturgie in Kauf zu nehmen, denn Erhabenheit, Entrücktheit und Geheimnishaftigkeit werden auf der Strecke bleiben.

Revoluturus (wittert seine Chance zu einem erneuten Schulterschluß und bemerkt lobend): Das hast du trefflich zusammengefaßt, du bist eben doch kein Konservativer, denn für diese Betonköpfe zählt nur die Heiligkeit der Messe.

Moderaturus (zurechtweisend): Du solltest dir dieses Schimpfwort sparen. Oder war der hl. Paulus ein Betonkopf, weil er nach seinem Wort handelte: „Ich habe vom Herrn empfangen, was ich euch auch überliefert habe?“ Vielleicht wirst du dir einmal nichts sehnlicher wünschen, als treu die Überlieferung bewahrt zu haben, nämlich dann, wenn du vor deinem ewigen Richter stehst - aber dann ist es zu spät!

Revoluturus (zuckt kurz zusammen, spült mit einem kräftigen Schluck des Assmannshäusers seinen Schrecken über die Schlußbemerkung seines Freundes hinunter und vermeidet es wohlweislich, auf sie einzugehen): Ich habe dir bisher noch nicht eröffnet, daß ich dem Opfer der Kirche in der Messe einen anderen Inhalt geben werde.

Moderaturus (entsetzt): Bist du denn von Sinnen! Du willst es wagen, an das Heiligste zu rühren?

Revoluturus (kalt und entschlossen): Ich muß hier einen Durchbruch im Sinne unserer protestantischen Brüder erzielen, sonst wird es nichts mit dem neuen Ökumenismus. Deshalb hat für mich höchste Priorität, ein solches Rahmenwerk für die nachfolgende Liturgiereform zu schaffen, daß diese eine tragende Säule für den neuen Ökumenismus werden kann.

Moderaturus (scharf): Ich dachte eigentlich, die katholische Wahrheit hätte höchste Priorität.

Revoluturus (ignoriert den Seitenhieb): Was unsere protestantischen Brüder seit eh und je auf die Palme bringt, angefangen von Luther, ist die Rolle des Priesters in der Messe, daß er nämlich in persona Christi handelnd das hl. Opfer vollzieht.

Moderaturus: Allerdings, aber diese Glaubenswahrheit kannst du doch nicht leugnen, geschweige denn darauf hoffen, für eine solche Leugnung eine Stimmenmehrheit zu finden.

Revoluturus (entkorkt mit einem laut knallenden Geräusch, das bei diesem Wein zu den schönsten Hoffnungen berechtigt, die dritte Flasche des Roten und schenkt nach): Natürlich muß ich in diesem hoch sensiblen Bereich behutsam vorgehen und zu offenen Formulierungen greifen, die den Widerspruch zur überlieferten Lehre verdecken. Den Weg dazu hat mir übrigens der Benediktinermönch Odo Casel gewiesen.

Moderaturus: Du meinst den Theoretiker der Liturgischen Bewegung mit seiner obskuren Lehre, daß der Mensch im Kultmysterium aus der Zeit heraustreten und in die göttliche Gegenwart eintreten könne?

Revoluturus: In der Tat, diese Lehre ist obskur und ich halte sie, unter uns gesagt, für eine pseudo-philosophische Spekulation, denn der Mensch steht auf Erden nun einmal in der Zeit und das gilt auch für das Kultmysterium. Mir kommt es aber auf die Konsequenz jener Ansicht für das Opfer der Kirche im Meßopfer an, weil sie für meinen Ökumenismus von größter Bedeutung ist. Freilich lasse ich den Namen Casel in der Konzilsaula nicht fallen, denn seine Lehre ist bekanntlich sehr umstritten.

Moderaturus: Welche Konsequenz meinst du denn?

Revoluturus: In der Konzeption dieses Benediktiners dauert das historische Kreuzesopfer in der Weise fort, daß es selbst unter dem Schleier des Mysteriums, wie er sich ausdrückt, in die Gegenwart tritt. Dadurch schafft er die Voraussetzung dafür, das Opfer der Kirche im Meßopfer umzudeuten, was zu einer gravierenden Reduktion der Funktion des Priesters führt.

Moderaturus: Erkläre dich genauer.

Revoluturus: Nun, wenn im Meßopfer das historische Kreuzesopfer selbst in sakramentaler Weise in die Gegenwart tritt, indem - nach Casel - die Zeit im Kultmysterium sozusagen aufgehoben ist, dann vollzieht Christus in der Messe Sein Opfer ohne den Priester. Dieser hat nach ihm diesbezüglich nur die Funktion, Christus präsent zu machen, und zwar durch die Wandlung der Gaben Brot und Wein. Diese Wandlung gehört für Casel, im Gegensatz zur überlieferten Lehre der Kirche, nicht zum Vollzug des hl. Opfers, sondern sie stellt für ihn nur die Vorbedingung für den Vollzug dieses Opfers dar. Bei dem Vollzug des Opfers bleibt der Priester bei Casel außen vor, es vollzieht sich also ohne seine Mitwirkung.

Moderaturus (fassungslos): Dann raubt Casel ja dem katholischen Priestertum seine wichtigste Funktion, nämlich in persona Christi das hl. Opfer zu vollziehen!

Revoluturus: Genau so ist es, aber darin besteht ja gerade die enorme ökumenische Relevanz seiner Theorie. Durch diese fundamentale Reduktion der Funktion des katholischen Priesters in der Messe schlägt er eine Brücke zu unseren protestantischen Brüdern.

Moderaturus: Mit dieser Auffassung kannst du gar nicht durchdringen, denn du verlierst mit ihr das Opfer der Kirche im Meßopfer. Das Konzil von Trient hat aber eindeutig festgelegt, daß Christus Seinen Aposteln und damit auch Seinen Priestern aller Zeiten ein Opfer hinterlassen hat, nämlich Seinen Leib und Sein Blut im Gedenken an Ihn zu opfern.

Revoluturus (mit überlegener Miene): Wenn ich auch das Opfer der Kirche im Sinn der überlieferten Lehre verliere, so bedeutet das ja nicht, daß ich es nicht ersetzen könnte. Natürlich ist mir bewußt, daß ich mit Hinblick auf Trient ein spezifisches Opfer der Kirche brauche, und hier hatte dieser Benediktinermönch die „geniale“ Idee, die Weise wie nach der überlieferten Lehre der Priester das Opfer vollzieht, nämlich im Gedächtnis des Herrn, zu abstrahieren und diese Weise selbst zu einem Opfer zu erklären. Diesen Grundgedanken übernehme ich, wobei ich mich natürlich in diesem hochsensiblen Bereich vorsichtig ausdrücken muß.

Moderaturus: Hm. Das ist ja unglaublich raffiniert. Du hältst also vom wahren Opfer der Kirche im Meßopfer nur die Weise fest, wie es der Priester vollzieht, nämlich im Gedenken des Herrn, isolierst diese Weise und machst sie zu einem eigenen Opfergegenstand. Dabei wahrst du den Schein, am Opfer der Kirche festzuhalten, obwohl du in Wirklichkeit diesem Opfer einen anderen Inhalt unterlegst. Das ist in der Tat ein diabolisch inspirierter Plan!

Revoluturus (nimmt erneut einen kräftigen Schluck des Roten, um seinen Ärger über diese Qualifizierung seines Planes loszuwerden und gibt sich unbeeindruckt): Übrigens hat diese Konzeption noch einen entscheidenden Vorteil im Sinne meines Vorhabens. Es ist dann nämlich nicht mehr einsehbar, wie das Kreuzesopfer real fortdauern kann, wenn das Opfer der Kirche nur im Gedächtnis der Heilstat des Herrn besteht, es sei denn man übernimmt die Auffassung Casels, daß im Kultmysterium die Zeit aufgehoben ist, wozu die wenigsten Kleriker bereit sein dürften. Und weil die Fortdauer des Kreuzesopfers dann nicht mehr einsehbar ist, wird die Folge davon sein, daß die Auffassung des Messe als eines Opfers immer mehr aus dem Bewußtsein des Klerus und der Gläubigen in der nachkonziliaren Zeit verschwinden wird. Das Meßopfer wird deshalb im Bewußtsein der meisten zu einer bloßen Mahlfeier werden, denn das Mahl ist die Weise, wie jenes Gedächtnis gefeiert wird. Zweifellos wird diese Entwicklung den Beifall unserer protestantischen Brüder finden und ist somit für den konziliaren Ökumenismus von großer Bedeutung.

Moderaturus (bitter): Allerdings, aber um welchen Preis erkaufst du dir diesen Beifall! Du zerstörst im Grunde die Lehre vom hl. Meßopfer, insofern es ein Opfer der Kirche ist und läßt es als solches zu einer Gedächtnisfeier degenerieren. Dadurch triffst du das katholische Priestertum ins Herz. Mir bleibt nur noch zu hoffen, daß man dir auf die Schliche kommt und den Widerspruch zur katholischen Lehre aufdeckt.

Revoluturus: Wenn ich in der Liturgiekonstitution mit meinem Plan durchdringe, dann kann ich an anderer Stelle großzügig sein und die Konservativen mit der traditionellen Lehre zum Zuge kommen lassen, was sie beschwichtigen wird. (Spöttisch setzt er hinzu) Da hast du also wieder die von dir gerügte Doppelzüngigkeit, aber ...

Moderaturus (angewidert): Genug der Worte, ich will davon nichts mehr hören. Dein Vorhaben hat mich erschüttert, und ich sage dir offen, mir graut vor dem, was du vorhast. Wenn ich bisher noch gezweifelt habe, ob ich dir noch folgen kann, dann weiß ich nun, daß dies nicht der Fall sein wird. Ich wiederhole: Wenn die Konzilsväter deine Pläne durchschauen würden, dann hättest du keine Chance sie zu verwirklichen.

Revoluturus: Allerdings, ich muß mich deshalb vor allem hinsichtlich meines Hauptangriffspunktes bedeckt halten. Rückblickend auf unser Gespräch wirst du ihn unschwer erkennen: Es ist der absolute Wahrheitsanspruch unserer Kirche. Die wichtigsten Passagen, die ich durchsetzen werde, zielen auf die Preisgabe dieses Anspruches, der schon immer für die Welt und die anderen Religionen der Stein des Anstoßes, das Ärgernis schlechthin war! Ihn zu Fall zu bringen ist mein vorrangiges Ziel, und deshalb torpediere ich ihn auf verschiedenen Ebenen. Wenn der Absolutheitsanspruch der katholischen Kirche gefallen ist, dann winkt uns die Freundschaft der Welt und der anderen Religionen. (Bemerkt, daß sein Gesprächspartner von den in Aussicht gestellten Freundschaften nicht mehr zu beeindrucken ist und erkennt, daß er infolgedessen seine Gefolgschaft endgültig verloren hat. In scharfem Ton fährt er fort) Wie gesagt, gerade diese Absicht muß unbedingt geheimgehalten werden, und deshalb habe ich mir zu Beginn unseres Gespräches mir dein Wort geben lassen, daß du niemanden über seinen Inhalt unterrichten wirst. Du wirst dich doch an dein Ehrenwort halten?

Moderaturus (resigniert): Ja, ich werde mein Wort halten.

Die Freunde verstummen. Sie haben bis tief in die Nacht ein hitziges Gespräch geführt und sind nun erschöpft; außerdem hat der Rote ihren Geist ein wenig benebelt. Jeder geht jetzt seinen eigenen Gedanken nach. Revoluturus genießt seinen künftigen Triumph in der Konzilsaula und nachdem er sich ihn in den schönsten Farben ausgemalt hat, wendet er sich erneut dem Assmannshäuser zu, dem er zum guten Teil sein Glücksgefühl verdankt und versucht, Schluck für Schluck prüfend, die treffendsten Prädikate für ihn zu finden. So kommt es, daß sein Blick erst nach längerer Zeit auf seinen Freund fällt. Dieser ist in seinem Sessel zusammengesunken und Schweißperlen bedecken seine Stirn.

Revoluturus: Was hast du? Ist dir nicht wohl?

Moderaturus (fährt zusammen, murmelt etwas Unverständliches, faßt sich dann und stößt hervor): Schrecklich!

Revoluturus: Was ist schrecklich?

Moderaturus (wischt sich den Schweiß von der Stirn und beginnt nach einer langen Pause): Höre dir meinen Traum zur Warnung an. Mir träumte, ich war in Gottes Gericht. Doch vor mir war ein anderer an der Reihe, ich erkannte ihn wohl, es war Erzbischof Marcel Lefebvre. Als er vortrat, ertönte eine starke und zugleich milde Stimme, welche die Worte sprach: „Da du getreu warst bis in den Tod, will Ich dir die Krone des Lebens geben.“

Dann trat ich vor und stammelte zu meiner Rechtfertigung: „Ich wollte die Kirche mit der Welt versöhnen und ihre Freundschaft gewinnen.“ Da hörte ich dieselbe Stimme, jetzt aber scharf und durchdringend: „Wußtest du nicht, daß Freundschaft mit der Welt Feindschaft mit Gott ist?“

Noch einmal versuchte ich mich zu rechtfertigen, zitternd am ganzen Leibe: „Ich wollte eine Einheit mit den anderen Religionen herstellen.“ Und wieder ertönte diese Stimme, noch furchterregender als zuvor, und ich vernahm die Worte: „Und dafür hast du Meine Kirche verraten?“

Da stürzte ich in Vernichtung nieder. - In diesem Augenblick hast du mich aus diesem furchtbaren Traum gerissen.

Revoluturus (betroffen und sprachlos): Hm.

Es tritt erneut eine längere Pause ein. Dann summt Moderaturus etwas vor sich hin.

Revoluturus (gereizt): Was summst du denn da vor dich hin?

Moderaturus: Im Zusammenhang mit unserem Gespräch stellte ich mir gerade den Einzug der Konzilsväter in den Petersdom am morgigen Tag vor und da fiel mir plötzlich die folgende Stelle aus dem Lohengrin ein:*




Revoluturus ist verstimmt. Er erhebt sich, dankt für die Gastfreundschaft und verabschiedet sich.



Zurück zum Vorspann



* Dieses Diktum stammt nach einem an die Zeitschrift Rom-Kurier gerichteten Leserbrief von Kardinal Siri. Die Mitteilung erscheint glaubwürdig, wenn man die Antwort bedenkt, die dieser Kardinal Paul VI. in einer Audienz auf dessen Frage gab, wann er das Konzil beenden solle, nämlich, „wenn möglich sofort, die Luft des Konzils macht einem übel“ (s. übernächsten Abschnitt).

*F. Schiller: „Die Piccolomini“, 5. Aufzug, 1. Auftritt.

* Schriftenreihe Freude an der Wahrheit, Hrsg. K. Haselböck, Wien Nr. 20, S. 4.

* W. Busch: „Tobias Knopp/Abenteuer eines Junggesellen IV. 2.

* W. Shakespeare: Hamlet, III. Akt, I. Szene.

** Erinnert sei dazu an die Aussage von Paul VI: „Man kann sagen, daß sich die Mehrzahl der Bischöfe auf die Schulbank oder in den Hörsaal begab. Und viele wunderten sich darüber, daß ihr Standpunkt nach vier Jahren ein anderer war ... daß sie vieles guthießen, was sie vor dem Konzil für unannehmbar oder gewagt gehalten hatten.“ J. Guitton: „Dialog mit Paul VI.“, Wien 1967, S. 215.

Bei dem folgenden Dialog über die Liturgiekonstitution des Konzils, Sacrosanctum concilium, greifen wir den Ausführungen des folgenden Kapitels vor. Dieser Vorgriff erfolgt, weil wir die Liturgiekonstitution und die auf dieser aufruhende Liturgiereform im Zusammenhang darstellen wollen.

* R. Wagner: Lohengrin, zweiter Aufzug, 2. Szene.